Hans-Georg Maaßen: Wenn aus Loyalität Linientreue wird
Von meinem ersten Vorgesetzten lernte ich, dass ein Beamter eine dreifache Loyalitätspflicht zu erfüllen hat. Er muss gegenüber seinen Vorgesetzten, gegenüber den Gesetzen und schließlich gegenüber seinem Gewissen loyal sein. Nicht jede Loyalitätspflicht ist gleich stark.
Das erste Loyalitätsband gegenüber den Vorgesetzten sollte so dünn wie ein Faden sein, selbst wenn man den Vorgesetzten persönlich nahesteht, das Loyalitätsband gegenüber dem eigenen Gewissen sollte das stärkste sein, andernfalls ist man der falsche Mann oder die falsche Frau auf dem richtigen Posten.
Man muss den Mut haben zu sagen: „Das dürfen sie nicht wollen.“ Es besteht ein Unterschied zwischen Loyalität und gefügigem Gehorsam.
Dagegen besteht für Beamte keine Loyalitätspflicht gegenüber einer bestimmten Politik, Partei oder Ideologie. Ein derartiges Loyalitätsverständnis widerspricht dem Status eines Beamten in der freiheitlichen Demokratie. Das war ganz anders in der DDR, wo jeder Staatsangestellte ein hohes Maß an ideologischer Loyalität aufweisen musste. Man nannte es Linientreue.
Ich musste während meines Beamtenlebens immer wieder an die Loyalitätspflichten des Beamten denken. Zum Beispiel immer dann, wenn neue Minister ihre persönlichen Mitarbeiter aus den Bundestagsbüros mitbrachten und beförderten. Sie hatten ein anderes Loyalitätsverständnis.
Man muss als Beamter widersprechen, wenn es notwendig ist.
Es erinnerte mich an vergangen geglaubte Zeiten und an den Bericht über den psychisch gestörten Kaiser Wilhelm II und seine hohen Beamten und Generale, die der Kaiser bei seinen Nordlandfahrten auf dem Deck seiner Yacht hatte antreten und zu seiner kaiserlichen Belustigung Sackhüpfen und Bockspringen ließ.
Eine ähnliche Entwicklung ist inzwischen in unseren Parteien feststellbar. Nach dem Grundgesetz sind Abgeordnete in einer sehr komfortablen Situation. Sie sind nur ihrem Gewissen und natürlich den Gesetzen unterworfen.
Das Credo lautet: Wer der Parteilinie oder der Parteiführung widerspricht, schadet der Partei, weil er dem politischen Gegner in die Karten spielt und ihn damit munitioniert.
Auffallend ist, dass genau so die Bolschewiki argumentierten, um politische Abweichler zu verfolgen: Kritik an der Linie der Partei unterstützt die Konterrevolutionäre und zeigt, dass man noch kein hinreichendes revolutionäres Bewusstsein hat.
Die Aussage meines früheren Vorgesetzten machte mir noch etwas anderes deutlich: Es ist richtig, dass die persönliche Loyalität nur ein dünner Faden ist.
Dieser Faden muss schon dann reißen, wenn erwartet wird, dass man aus Pflichterfüllung und Loyalität zu kaiserlichen Bockspringern und Sackhüpfern wird.
Aber vor allem dann muss der Faden reißen, wenn aus Rechtsgehorsam und Gewissenstreue parteiisches Soldatentum und Linientreue werden.
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