Als die Welt noch jung war, kam da eines Tages ein Boot über das Meer, in dem ein hübscher Jüngling saß. Er bespielte eine goldene Harfe und sang liebliche Lieder für die Möwen, die um ihn her flogen. Als das Boot die Küste erreichte, dort wo das klare Wasser Asgard umspülte, kam der Mistrel aufs Land. Wo er sein Fuß setzte, wuchsen Blumen, die Vögel sangen und allerlei Tiere hüpften und sprangen rundherum. Als er sich Asgard näherte, hörten die Asen die liebliche Melodie seiner Harfe und kamen ihm über Bifrost entgegen. Aber noch bevor sie ihm begegneten, erzitterte die Erde und aus einer Spalte kam da ein schönes Mädchen heraus, zart und frisch wie der Frühling selbst, das ein goldenes Kästchen in den Händen hielt. Der Minstrel schien sie zu erwarten, nahm sie bei der Hand die sie ihm ausstreckte und so kamen sie Hand in Hand zu der Brücke Bifrost.„Ich grüße euch, Ihr Herren von Asgard,” rief der junge Mann. „Ich komme aus Jötunheim, dem Reich der Riesen, aber ich gehöre zu Euch! Gunlöd die Schöne ist meine Mutter, die Hüterin des Mets der Inspiration aus dem Blut Kwasirs gemacht. Odin ist mein Vater, denn er hatte sie in der Schatzkammer des Suttung geliebt. Das Blut Kwasirs strömt in meinen Adern und ich bin gekommen um für Euch in Asgard spielen und singen.”
„Sei willkommen mein Sohn Bragi, Herr der Poesie und Musik, „sagte Odin. “In meiner Weisheit wußte ich, daß du kommst und uns allen in Asgard große Freude bereiten wirst.” „Ich bringe Euch Freude, in der Tat“, sagte Bragi und schob das schöne Erde-Mädchen das er an der Hand hatte nach vorne. „Das ist meine zukünftige Gemahlin, Iduna die Schöne, Tochter Ivaldis, des Erdzwergs. „Willkommen in Asgard Iduna, Herrin der Jugend!“ sagte Odin,“ doch sagt uns, was habt Ihr da in dem goldenen Kästchen.”
“Ich bringe Euch die Äpfel der Jugend,” antwortete Iduna mit einer Stimme die so sanft und lieblich klang, wie das plätschern des Wassers in einem Bergbach. „Wenn Ihr davon esst, werdet Ihr ewig jung uns kräftig bleiben.”„Dreimal hoch und willkommen in Asgard,“ rief Odin. „Selbst wir, die Götter, werden alt und wir müssen jung und kräftig bleiben, um die Riesen zu bekämpfen und den Menschen in Midgard beizustehen. Kommt beide nach Asgard herein und heute Abend werden wir eure Hochzeit feiern, so festlich wie nie zuvor.“
An demselben Abend wurde die Hochzeit von Bragi und Iduna gefeiert und von dem Augenblick an wohnten sie auch in Asgard. Jedes mal wenn ein Fest gefeiert wurde glitt Iduna sanft wie eine Hinde durch den Festsaal und gab jedem einen Apfel aus dem goldenen Kästchen. Und egal wie viel Äpfel Iduna auch verschenkt hatte, das Kästchen blieb immer voll. Als die Riesen davon hörten, wollten sie natürlich die Äpfel auch haben, aber alles was sie auch probierten um die Äpfel zu stehlen war vergebens: niemand gelang es Asgard zu betreten und Iduna ging nie nach Midgard.
Eines Tages jedoch gingen Odin und sein Bruder Hönir, der Glänzende, als gewöhnliche Reisende verkleidet nach Midgard um nachzusehen wie es den Menschen so ging. Sie reisten schnell und weit und kamen letztendlich zu einer Bergkette nahe der Grenze zu Jötunheim. Als sie dort durch die Täler und Tannenwälder herumstreiften, begegneten sie einem jungen Mann, schön anzuschauen und mit spöttischem Zwinkern in den Augen.„Gegrüßt seid Ihr, Odin und Hönir, mächtige Asen, Söhne von Börr und Bestla!“ rief er. Odin hob die Augenbrauen und sagte streng: „Junger Mann, wie kommt es, daß Ihr so gut über unsere Namen und unseren Rang Bescheid wisst? Spielt da die Zauberkraft der Riesen vielleicht mit eine Rolle?“ „Überhaupt nicht,“ antwortete der Fremde, denn ich bin Euer Neffe Loki. Es strömt zwar Riesenblut durch meine Adern, aber das tut es auch bei Euch. Denn der Vater der Bestla war Baelthorn, der Eisriese und sein Bruder Bergelmir war der Vater meines Vaters Farbauti.....Darum Oheim, ich flehe Euch an, laßt mich Euch auf Euren Reisen begleiten. Ich werde Euch beweisen, daß ich es Wert bin mit Euch zusammen gegen bösartige Riesen die in Jötunheim wohnen zu kämpfen.“
So ging Loki also mit Odin und Hönir mit und half ihnen wo er nur konnte. Bald auch stellte sich heraus, daß er wirklich ein Gewinn für die Asen war, denn sein Verstand und seine Schlauheit waren ohne Vergleich. Immer wußte er wie man Schwierigkeiten löst oder meistert und wie Odin, hatte auch er die Gabe, jede Gestalt annehmen zu können die er sich wünschte.
Aber eines Tages kam er einer Macht entgegen, der auch er nichts entgegen zu setzen imstande war. Zusammen mit Odin und Hönir streifte er durch Berge und Öden wo weit und breit nichts zu Essen zu finden war. Aber da, in einem einsamen Tal entdeckten sie eine Herde Ochsen am grasen, schlachteten einen und machten ein großes Feuer. Loki der das Essen bereitete, drehte den Spieß und nach einiger Zeit wollte er kosten, doch zu seiner Überraschung war das Fleisch noch immer roh. Er verschob den Spieß mitten ins Feuer, wo es am heißesten war und wartete noch eine halbe Stunde. Die Asen waren sicher sehr hungrig und nachdem sie wirklich schon lang warteten rief Hönir: „Der Ochse muß einfach gar sein! Sonst kochst du immer so lecker, Loki!“Da erzählte Loki was passierte und bat die Asen sich das Feuer und das Fleisch anzusehen. Stundenlang im großen Feuer und wenn man den Ochsen heraus holt, ist das Fleisch roh als nie gebraten. Die zwei Asen überzeugten sich, daß Loki da recht hatte. „Da muß Zauberei im Spiel sein!“ rief Odin. „Ha! Ha!“ rief eine krächzende Stimme oben aus dem Baum. Ihr werdet ohne meine Hilfe nie das Fleisch gar kriegen.“ Überrascht entdeckten sie einen enormen Adler hoch im Baum und als sie ihn dann um Hilfe baten, rief er: “Ja sicher will ich Euch helfen, aber dann müßt Ihr mir versprechen, daß wenn der Ochse fertig ist, ich davon so viel essen kann wie ich will, erst danach dürft Ihr essen.“
Weil sie so einen riesigen Hunger hatten, stimmten die Asen dem zu. Der Adler flog nach unten und fächerte das Feuer mit seinen enormen Flügeln an. Als Loki danach den Ochsen aus dem Feuer holte, sahen sie alle, daß er wunderbar knusprig gebraten war.
„Ich werde mir als Erster meine Portion nehmen, dann könnt ihr mit eurer Mahlzeit beginnen.“ sagte der Adler. Nachdem er das sagte, nahm er die vier Beine, die Schenkel, die Brust, die Schultern, die Lenden, eigentlich fast alles. „Halt!“, rief der Loki und sprang wütend auf, „Du hast viel mehr als passend genommen und jetzt ist nicht genug da für uns drei! Ich alleine könnte das Restchen so aufessen!“ Der Adler tat als ob er nichts hörte, aber schmunzelnd fing er an das gebratene Fleisch hinunter zu schlingen.
Da verlor Loki seine Geduld, nahm einen Stock und schlug auf den Adler ein. Sofort flog der Adler weg, aber der Stock blieb an seinen Federn kleben und Loki an dem Stock. Wie er auch sein bestes tat, er konnte sich nicht losmachen und der Adler flog absichtlich niedrig und zog ihn in durch Dornen und Stacheln, über scharfe Felsen und Bäume, bis Loki sehr verwundet und schrecklich übel dran war. Loki flehte den Adler, ihm die Freiheit zu geben und versprach ihm alles, was er denn wollte.„Wenn du Iduna mit ihrem Kästchen Äpfel aus Asgard holst, bringe ich dich zu deinen Freunden und auch die Mahlzeit werde ich euch gestatten,“ antwortete der Adler. Entrüstet weigerte sich Loki. „Es ist mir nicht möglich, auch wenn ich es wollte,“ sagte er, “ich gehöre nicht zu den Asen und ich glaube auch nicht, daß sie mich in Asgard einlassen.“ „Dann schleife ich dich durch ganzen Midgard von einem Ende zum anderen, denn ich bin Thjassi, der Sturmriese und was ich mit dir bisher gemacht habe ist nichts im Vergleich was noch kommt!“ Als Loki das hörte, erschrak er mächtig und versprach prompt alles Mögliche zu tun um Iduna und ihre Äpfel aus Asgard zu holen.
© 2007 Lynagh