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Lynagh

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Donnerstag, 8. Mai 2008, 13:52

Die Falle der Unwirklichkeit

Vom Hügel hatte man eine wunderschöne Aussicht auf das tiefblaue Meer. Das Gras war saftgrün, der Grund und die Klippen waren tief glühend rötlich. Der kleine Herrensitz war an einem Vorgebirge und nur eine schmale Landzunge verband es mit dem festen Land, so daß es beinahe wie eine Insel war. Die Schönheit der Natur, die Ruhe, Ausgeglichenheit und auch die leckeren wenn auch einfachen Mahlzeiten auf dem Landgut machten es zum einem kleinen Paradies.

„Oh, du meine Güte,“ sagte die ältere Frau zu ihrer Freundin. „Es ist wirklich wie ein Geschenk des Himmels." Ihre Freundin, eine Dame unbestimmtes Alters mit einem Schildkrötenhals und hängenden Wangen nickte zustimmend. Sie holte aus ihrer Tasche ein Stück Pergament und las wieder die unglaublich klingende Einladung. Vom Haus her hörten sie den Klang eines Gongs, der die Abendmahlzeit ankündigte. „Wer ist denn heute an der Reihe,“ sagte die erste Dame neugierig. Beide beschleunigten ihren Schritt und traten durch die Gartentür in das Eßzimmer. Die anderen vier Gäste saßen schon am Tisch und die beide Dienerinnen servierten den ersten Gang. Eine klare Brühe. Die Dienerinnen waren zwei Trollfrauen, also nicht gerade angenehm anzusehen, aber sie erfüllten ihre Aufgaben als Dienerinnen zu vollster Zufriedenheit. Wenn schon die Dienerinnen ein ziemlich beunruhigendes Gefühl erweckten war ihre Herrin sogar noch mehr beunruhigend. Es war eine ziemlich große Frau, schlank und mit samtener Stimme, aber niemand sah je ihr Gesicht, denn sie erschien immer tief verschleiert. Jedoch, was gab das, wenn man den Frühling des Lebens vielleicht wieder fand und es da auch eine mitfühlende Zauberin gab, die es ermöglichte. Alles ist im Leben möglich und denkbar. Die sechs alten Damen waren zufrieden, denn sie alle hatten ein Ziel.

„Ich suche es noch und meine Schwester hat es schon sogar gefunden, die schweigt jedoch, tsss -“ sagte die Gastfrau Brana als sie ihre Gäste eine Woche zuvor willkommen hieß.

„Wie ihr vermutet, es kann wirken, man muß nur wollen“ sagte die Gastfrau feierlich. Eistla und Gellivör, die Trollfrauen, kicherten und die Gastfrau schlug ärgerlich mit einem Löffel auf den Tisch. „Nun, wer ist heute an der Reihe?“ Die Dame mit dem Schildkrötenhals meldete sich und bekam einen Becher mit nicht angenehm riechender Flüssigkeit. Sie trank es aus und alle warteten gespannt. Der Schildkrötenhals wurde zu einem Schwanenhals, die Falten glätteten sich, die Haare schimmerten. Das alles dauerte vielleicht zwei Minuten dann war alles wie zuvor. Es saß da wieder eine häßliche Alte mit einem Schildkrötenhals und hängenden Wangen am Tisch. Brana stampfte mit den Füßen. Wieder nichts! Eine Woche harter Arbeit und wieder umsonst! Der Verjüngungstrank wollte nicht gelingen. Ihre Gäste, die häßlichsten alten und unangenehmsten Frauen, die sie finden konnte, seufzten enttäuscht. Mit Zaubertränken war da nichts zu holen, also da kommt nur das Einzige was noch offen stand. Der Handarbeiter! Keine von ihnen, nicht mal die Brana, fand es eine angenehme Vorstellung und schmerzhaft wird es sicher auch noch werden; aber was tut man ja nicht alles um wieder jung zu sein. Der Handarbeiter Gissur gefiel keiner, aber er war ein Künstler. Mit seinen Messern schnitt er und mit einer feinen Nadel nähte er und mit einer hohlen Nadel spritzte er Flüssigkeit in das alte Gewebe, so das alles wieder glatt zu sein schien. In den kommenden Tagen hatte er viel zu tun, aber am Ende saßen da Damen, die um Jahre jünger wirkten. Sogar Eistla und Gellivör sahen gut aus. Jedoch der Preis war noch zu zahlen, denn alles hat einen Preis. Mit der Zeit wurden alle Damen nervös und schauten ewig in ihre Spiegel. Sie sahen nicht mehr die schöne Landschaft und das Landgut, das einem Paradies glich. Sie sahen nur den Anfang neuer Falten, fahle Haut, fragten sich, wie sie sich noch verbessern konnten, waren zufrieden oder unzufrieden mit ihren Hälsen und/oder Busen, jede Einsinkung, Säcke unter den Augen oder neue Falten wurden zu einer neuen Tragödie und einer neuen Obsession. Der Preis, der zu zahlen war, war nicht Nichts und sogar auch sehr schmerzhaft, aber auch das nicht Nichts oder Schmerzen sind nicht imstande die Dauer der Dinge zu garantieren. Was verbessert wurde machte die Zeit wieder zunichte und es mußte und sollte konstant etwas verbessert werden. So saßen diese unangenehmen Frauen, Brana mit Eistla und Gellivör gefangen in einer Falle.

Das Landgut war schön und sie wollten auch immer schön sein. Jedoch ein Leben ohne Meister Gissur war nicht mehr möglich! Für sie alle, denn sie wollten sich nie mehr zeigen wie sie wirklich waren. Wenn sie sich im Spiegel sahen, sahen sie eine Frau wie sie es immer sein wollten, eine junge Frau und damit waren sie eben zufrieden - so lange bis sie etwas fanden was noch verbessert sein könnte oder was eben die Zeit verschlechterte. Wenn sie aber in sich selbst schauten, fühlten sie sich alt und müde, die Zeit ließ sich nicht aufhalten und schritt lustig weiter. Nach einiger Zeit blieb Brana wieder mit ihren Dienerinnen alleine, denn ihre Gesellschaftlerinnen rief das Helheim. Brana, Eistla und Gellivör saßen in einer Zeitschlinge, denn sie wiesen einmal endgültig dem Tod die Tür. Zusammen mit Meister Gissur, der nähte, spritzte und glättete jeden Tag aufs Neue, lebten sie ein Dasein ewiger Verbesserung. Weit draußen im Nordland, in einer Burg in der Eiswüste, lachte Gudagastiz mit dem Mantel aus Menschenhaut, denn er fand die Eitelkeit der Frauen immer einen großen Witz.



© 2008 Lynagh
***NEC ASPERA TERRENT***


Nil admirari prope res est una, solaque quae possit facere et servare beatum
= sich über Nichts zu wundern ist wohl das Einzige, was einen glücklich machen kann und bleiben läßt
(Horatius)