6. Mai 1945
Die Armee Schörner steht nach wie vor eisern und ist nicht nur im Stande, die wütenden Angriffe der Roten Armee abzuschlagen, sondern sogar mit Erfolg und wiederholt offensiv zu werden. Dieser Mann und seine Armee muß den Russen wohl ein Dorn im Auge sein und ihren Siegesrausch, der nach der Eroberung Berlin einsetzt, empfindlich stören. […] Im Raum Freiberg haben sie gewaltige Kräfte für diese Operation konzentriert. Unsere Angriffe gelten dieser Konzentration. Trotz großer Flakansammlungen und starker feindlicher Jägerverbände führen wir Angriff auf Angriff durch. Hunderttausende von Menschenleben sind davon abhängig, ob wir jetzt den Kopf hängen lassen oder ohne Rücksicht auf uns selber diesen bitteren Krieg fortsetzen, auch wenn wir wissen, daß wir an seinem Ausgang nichts mehr ändern können. Wir fliegen, der Schweiß steht uns bei jedem Einsatz auf der Stirn ……wir fliegen. Überall um uns, in uns ist die drückende Ahnung kommender Katastrophen und in unseren Seelen und Köpfen will immer wieder dumpfe Verzweiflung sich erheben……wir fliegen. Wir wissen daß es richtig ist, was wir tun, und der letzte, schaurige Einsatz dieses schweren Tages gibt uns eine gespenstige Bestätigung: südlich Diepoldiswalde zieht ein endloser Treck von Flüchtlingen auf die schützenden Sudetenberge zu. Eine lange, gewundene Kolonne von Karren, Kinder, Frauen und Greise. Und in diese Kolonne hinein —es ist, als ob wir in unseren Maschinen das gellende Schreien hörten – malmen Sowjetpanzer ihren erbarmungslosen Weg. Sie mahlen die Menschenleiber unter ihren Ketten und schießen mit Kanonen und Maschinengewehren auf die wehrlosen Flüchtlinge. Das Bild ist nicht neu und das Grauen unserer Gefährten seit vielen Monaten, aber animalisch-urwüchsig ist der Zorn, der uns die Tränen in die Augen treibt. Ich weiß gar nicht mehr, daß ich ein Mensch bin oder irgend etwas mit meinem Steuerknüppel oder dem Abschussknopf der Kanonen tun muß: ich spüre nur noch die Tränen auf meinen Wangen brennen und daß mir die Kehle ganz trocken wird. Wir fliegen Anflug auf Anflug, bis sämtliche Panzer vernichtet sind. Dankbare Gesichter starren uns entgegen […] Diesen Menschen haben wir noch helfen, ja sie retten können. Jetzt noch, aber morgen, oder übermorgen? Wenn unsere ganze Heimat, unser ganzes Volk eine endlose Flüchtlingskolonne sein wird, ein großer Treck nach dem Tränental der Niederlage und der Schmach, und dann von allen Seiten die erbarmungslosen Feinde ihren Panzern der Rache und der Gier, des Hasses und des Siegesrausches in diese wehrlosen Frauen, Kinder, Greise und Männer, die nur noch das nackte Leben und eine bißchen ihrer menschlichen und deutschen Ehre retten wollen, hineinfahren werden, alles unter sich zermalmend, werden wir uns dann noch auf sie stürzen können……waffenlos, besitzlos, ideenlos, führungslos……nur mit nackten Fäusten?
Bei Gott, ja, nur mit nackten Fäusten, wenn es not tut!
Hans-Ulrich Rudel: "Verloren ist nur, wer sich selbst aufgibt!"