Wer kennt das Volk der Udmurten? Woher sie kamen, und wer weiß wo dieses Volk heute lebt?
Die Udmurten sind eines der vielen Komivölker, welche ihren Ursprung am Ural haben. Ein finn-ugrisches Volk, wie die Finnen, die Esten oder auch die Ungarn. Die Udmurten auch Wotjaken genannt, leben heute in den Weiten der europäischen Taiga Russlands und wurden erst im 18. Jahrhundert christlich missioniert, so daß man heute noch sagen kann. Sie sind zwar offiziell missioniert aber im Geheimen blieben sie jedoch zutiefst heidnisch, was wir auch am Beispiel dieses schönen wotjakischen Märchens erkennen können.
Der Pakt mit dem Bären
In hehren Zeiten, lebten einstmals zwei Brüder. Der Ältere von ihnen war groß und stark, der jüngere Bruder jedoch klein und schmächtig an Wuchs. Sie lebten in trauter Zweisamkeit in den Tiefen der Wälder und lebten von der Jagd. Die Brüder liebten einander und fast nie gab es zwischen ihnen Zwietracht. Man erzählte sich, dass sie ein großes Buch aus Birkenrinde besaßen, in dem das Gesetz ihres Wettergottes Inmar aufgeschrieben war, wie die Menschen, nachdem sie sich schon reichlich über die Weiten der Taiga ausgebreitet hatten, auf der heiligen Mutter Erde leben sollten und es enthielt Bestimmungen, wie man Recht sprechen und die Bräuche einhalten soll. Obwohl die Brüder die geheimnisvolle Zeichen der Götter nicht lesen konnten, so spürten sie jedoch, wie hoch der Wert dieses heiligen Buches wohl sein mußte, und sie hegten und pflegten es wie ein wertvolles Kleinod. Doch heimtückisch und hinterhältig wie der Mensch sein kann, können dies auch die Götter sein. Und so raunte der verschlagene Wassergeist Vumurt dem älteren Bruder im Traum zu, dass er doch das Buch vor seinem jüngeren Bruder verstecken sollte. Der ältere Bruder gehorchte dem dunklen Ansinnen Vurmurts, denn er konnte den Traum nicht richtig deuten, und merkte auch nicht, das Vurmurt die Einigkeit der Brüder nicht ertragen konnte, und einen Keil zwischen die Beiden treiben wollte. Nun, alsbald vermißte der jüngere Bruder das stets strengstens gehütete Buch, und begann es zu suchen. Jedoch er fand es nicht. Der dunkle Geist Vurmurt aber raunte sich in den Geist des Jüngeren, und erzählte ihm voller Arglist, dass sein großer Bruder das Buch vor ihm versteckt hielt. "Wo ist das Buch?" fragte der Jüngere den Älteren. Aber der gab natürlich nicht zu, dass er das Buch versteckt hatte. Handelte er ja nach dem Gebot eines Geistwesens, mit denen es galt, immer in Frieden zu leben und bloß nicht den Zorn dieser Wesen auf sich zu laden. Der Jüngere versuchte nun den Bruder beim Betrug zu ertappen und es ihm abzunehmen. Aber der Ältere kam ihm zuvor, nahm das Buch aus Birkenrinde und lief weg. Der Jüngere folgte ihm. Doch wohin soll man flüchten, wenn rundherum nur dichter Wald ist? Also erklomm der ältere Bruder eine hohe, mächtige Tanne. Aber der Jüngere blieb nicht zurück, er kletterte ihm hinterher, hoch und höher. Endlich hat der Bösewicht schon den höchsten Wipfel erklommen, muß er voller Bestürzen erkennen, dass sein Bruder schon nach seinen Beinen griff. Als er nun die Ausweglosigkeit seiner Lage erkannte, entschloss er sich zu springen. Während er so durch die dichten Zweige der Tanne flog, bohrten sich ihre Nadeln in seinen Körper und bedeckten ihn völlig. Vom heftigen Aufprall auf das moosgrüne Gewand der Mutter Erde wurden seine Beine plötzlich ganz kurz und plattfüßig, sein Rücken krümmte sich plötzlich. Die Tannennadeln verwandelten sich plötzlich auf der Haut des älteren Bruders zu einem dichten braunen Pelz. Nichts menschliches blieb dem älteren Bruder erhalten, und so schüttelte er sich nur kurz und ging nach Art des Bären weg von seinem menschlichen jüngeren Bruder. Denn der blieb, was er auch gewesen war - ein Mensch. Seit dieser Zeit schloss der Mensch mit dem Bären einen Pakt. Der Bär, den der Mensch nun als "Herren des Waldes" nannte, lebte fortan getrennt von den Menschen, die sich nun ebenfalls als die Herren der Taiga nannten. Aber ihre Verwandtschaft vergaßen die beiden nicht. Der Bär fiel im Wald den Menschen nie an, und der, seinerseits, griff nie den Bären an, wenn dieser jagte. Der Mensch überließ dem Herren des Waldes sogar manch schmackhaften Stücke von seiner Jagdbeute. Der Bär verstand die Sprache des Menschen, nur selbst sprechen konnte er sie nicht. Begegnete der Herr des Waldes dem Menschen, so hörte er ihn den Pakt bekräftigen, indem der Mensch zu ihm spricht: "Du, großer Mensch im warmen Pelz, hast deinen eigenen Weg, und ich - den meinen. Du geh auf deinem Weg, ich aber auf meinem. Störe mich nicht, und ich werde dich nicht stören." Sobald der Herr des Waldes dies gehört hat, geht er friedfertig seines Weges. Unvorstellbar war es für die Menschen jener alten Zeit, dass man über einen toten Bären lachte, denn das hätte wiederum den Waldgeist Njulesmurt erzürnt, der die Bären beschützte. Und diesen, für den Menschen tödlichen Zorn wollte kein Bewohner der Taiga auf sich lenken. Und wenn sich einer der Bären vor Njulesmurt schuldig gemacht hatte, so nahm er ihm zur Strafe seinen Platz für den Winterschlaf weg, und der Bär mußte sich eine neue Bleibe suchen oder den ganzen langen Winter ruhelos durch die eiskalten Weiten der Taiga streifen.
(frei übersetzt nach einer wotjakischen Überlieferung von Taija v. Reiß)