Karl Simrock - Nachruf an Jacob Grimm
Zum Verständnis: Karl Simrock ist derjenige, der die Edda im 19ten Jahrhundert ins Deutsche übersetzt hat und damit eine der wichtigsten Personen in der Geschichte germanischer Brauchtumsforschung. Dieses Gedicht, das er 1863 seinem Kollegen Jacob Grimm widmete, ist in der Einleitung der Simrock-Edda abgedruckt.
Ich wagte niemals Dir ein Buch zu weihn,
Zu hocherhaben standst Du ob uns allen;
Doch durfte meine Edda Dir gefallen:
Die frohe Kunde kam mir an den Rhein.
Ach, eine trübe scholl uns hinterdrein;
Du gingst hinüber zu der Väter Hallen
An Wilhelms Hand in Glasirs Gold zu wallen;
Uns hegt ein seidner Faden noch den Hain.
Doch welche Wunder hast Du uns erschlossen!
Die deutsche Sprache sperrten sieben Siegel
Und sieben Riegel Recht und Poesie.
Nun haben wir Odhrörirs Trank genoßen,
Sahn uns in Urdas weißer Flut im Spiegel;
Dein Bild, o Meister, doch entsinkt uns nie.
So wie wir sind sind wir schon Jahrhunderte hindurch ein Rätsel politischer Verfassung, ein Raub der Nachbarn, ein Gegenstand ihrer Spötterein, ausgezeichnet in der Geschichte der Welt, uneinig unter uns selbst, stark genug uns selbst zu schaden, ohnmächtig, uns zu retten, unempfindlich gegen die Ehre unseres Namens, unzusammenhängend in Grundsätzen, gewalttätig in deren Ausführung, ein großes gleichwohl verachtetes, ein in der Möglichkeit glückliches, in der Tat bedauernswürdiges Volk.