In diesen Tagen meldete sich bei dem königlichen Hof eine weise Frau, Vecha war ihr Name, die ihre Dienste anbot und behauptete, dass sie sehr erfahren in der Heilkunde war und selbst den Wahsinn und die Verrücktheit heilen konnte. Sofort befahl König Billing, dass sie der Prinzessin helfen soll und nachdem ihr Vecha Fußbäder und beruhigende Getränke gab die der Prinzessin wunderlich gut zu helfen schienen, sagte Vecha: „Herr König, eine Verrücktheit braucht eine schwere Kur um zu genesen, ausserdem muß ich mit der Kranken alleine sein und kein eiziger Laut darf sie stören wenn ich mit ihr beschäftigt bin. Wenn Ihr also Eure Tochter wieder genesen sehen wolltet, mußt Ihr sie alleine mit mir lassen von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang und ein Befehl geben, dass niemand im Palast während dieser Zeit ihr Schlafzimmer betretten darf.“
„Es wird geschehen wie Sie wollen Vecha,“ sagte König Billing und er befahl, dass sich jeder nach der Wünschen Vechas richten soll. Als die Nacht begann, ging Vecha zurück in das dämmrige Zimmer wo die schöne Prinzessin Rinda lag und ruhig schlief. Dort erlosch die Gestalt der Vecha und Odin zeigte sich als sichselbst, der Urvater Odin, freundlich aber furchtbar in seiner Majestät. Mit seinem Runenstab weckte er Rinda und als sie wach war, war da keine Spur von Verrücktheit mehr. Sie setzte sich langsam auf und begriff, wer da vor ihr stand.
„Prinzessin Rinda,“ sagte Odin mit seiner sanften, freundlichen Stimme, „du hast immer eine meiner Streit-Jungfrauen zu werden sein wollen, eine meiner Wallküren die im Sturmwind hinter mir reiten und hinausgehen um von denen die im Streit gefallen sind zu wählen wer es Wert ist in die Walhalla zu kommen und einer meiner Helden zu werden bevor der Tag des Ragnaröks anbricht. Das wird nicht so sein, denn die Nornen haben für dich eine höhere Bestimmung. Du, als einzige der Frauen aus Midgard, bist ausgewählt um die Mutter eines der Asen zu werden, des allerjüngsten. Dein Sohn wird Vali heissen und er soll den Tod Balders des Schönen rächen, bevor er seinen Platz in Asgard einnimmt. Auch wird er in dem letzten Grossen Streit, in dem Götter wie auch Menschen sterben werden, nicht umkommen!“
Da beugte Prinzess Rinda ihren Kopf und als sie wieder ihre Augen aufschlug, war darin grosse Freude zu lesen über die Ehre, die ihr zuteil wurde. Nun weigerte sie nicht länger als Odin sie fragte seine Frau zu werden. Nicht lange danach jedoch, nahm Odin Abschied von seiner sterblichen Frau Rinda und kehrte wieder nach Asgard zurück wo seine wahre Gemahlin Frigga auf ihn wartete und ihn ohne jegliches Zeichen von Eifersucht willkommen hiess, da sie die Unvermeindlichkeit des Schicksals kannte.
So lebten die Asen wie immer weiter in Asgard; jedoch Höd war noch immer unbestraft für seinen schicksalhaften Pfeilwurf, der Balder tötete. Doch verliess er Breidablik nur in der Nacht, denn weil er blind war, war es ihm egal ob es Tag oder Nacht war und er irrte umher, in den weiten Waldgründen der Ida Ebene bis der erste Gesang der Vögel ihm meldete, dass ein neuer Tag angebrochen war. Doch blieb er während seines Umherirrens um seinen Bruder trauernd und weinte oft um ihn und um das traurige Schicksal was ihm selbst beschert worden war.
Eines Tages als Heimdal bei der Asgardpforte die Wache hielt, kam da ein Kind über die Bifrost Brücke angelaufen mit einem Bogen und Pfeilköcher bei sich. „Kein einziges Kind mit ungekämten Haaren und ungewaschenen Händen wird je hier Asgard betretten!“ rief Heimdal. „Bringe mich zu Odin, dem Urvater, in die Walhalla,“ antwortete das Kind mit einer so fremd einzigartigen Stimme, dass Heimdal ohne noch was zu fragen, gehorchte. Sie kamen bei Walhalla an und dort hielt sie Hermod an und sagte: „Kein einziges Kind mit ungekämten Haaren und ungewaschenen Händen kann Walhalla betreten! Kein menschliches Wesen aus Midgard darf hier herein als er keine Wunde oder Blutspuren zeigen kann als Zeichen dass er im Streit starb.“ „Bringe mich zu Odin, meinem Vater,“ antwortete das Kind und seine Stimme klang schon voller als wenn er Heimdal für das ertenmal angesprochen hatte.
Ebensowenig wie der Wächter Bifrosts, fragte auch der Wächter Walhallas das Kind mit der befehlender Stimme nichts mehr. Er machte ihm Platz und der Junge lief durch die Mitte Walhallas, wo alle Asen und die Einheriaren und die Helden erstaunt aufschauten, bis er vor dem Thron stand. „Sei willkommen!“ rief Odin, „das ist Vali, mein und der Prinzessin Rindas Sohn. Dieser wurde geboren um die heilige Pflicht zu erfüllen, Balders Tod zu rächen!“
„Aber wie soll dieser Junge Höd mit seinem Schild der Finstenis und seinem Schwert des Schreckens je töten können?“ fragten die Asen. “Es ist wahr, dass ich erst eine Nacht alt bin,“ antwortete Vali, “aber bevor diese Nacht zu Ende ist, werde ich Erwachsen sein und ebenso wie der frühe zarte Frühling den mächtigen Winter besiegt, so werde auch ich Höd besiegen.“
Während sich alle wunderten über sein wunderliches Wachstum, denn vor ihren Augen wurde er vom Kind in einen Jüngling und vom Jüngling zum Mann, schritt Vali durch die Säle der Walhalla und hinaus in die dunkle Wälder dahinter. Dort irrte Höd herum, verzweifelt und allein, mit Haß in seinem Herzen das früher nur die Liebe gekannt hatte. Und plötzlich hörte er eine jugendliche Stimme rufen: „Töter von Balder, deine Stunde ist gekommen! Verteidige dich, denn der Rächer ist nahe!“ Verzweifelt hielt Höd seinen Schild der Finsternis vor sich und mit dem Schwert des Schreckens in der Hand eilte er in die Richtung der Stimme. Ein Pfeil surrte durch die dunkle Nacht – ein zweiter – und ein dritter und Höd fiel auf die Erde und starb.
Da schallte Valis Triumphschrei durch ganz Asgard und alle Asen eilten zu der Stelle wo der tote Höd lag und sie fanden einen strahlenen, grossen Krieger, der da stand und sich über den Körper Höds beugte.
Jedoch unten in dem finsteren Königreich der Hella, ging Höd mit gebeugtem Haupt über die Gjöllbrücke und blieb dann im Schatten stehen, traurig und allein. Da stand Balder von seinem Platz am Tisch auf, eilte zu ihm und umarmte ihn mit einem Lächeln des Willkommens und der Vergebung. „Gegrüßt sei du Bruder,“ rief er, „nun da du hier bist, hat Helheim viel von seinen Schrecken verloren.... nicht du, sondern der böse Loki tötete mich – aber doch kann ich es nicht bedauern, dass deine Hand den schicksalhaften Mistel Pfeil warf, denn anders würdest du mir hier in meiner Einsamkeit nie Gesellschaft leisten können. Nun sind du und ich, die Zwillinge, wieder zusammen und wir können ohne Traurigkeit die Zeit abwarten, bis der Tag des Ragnaröks anbricht, denn dann werden wir wieder das Licht sehen, so wie es vorherbestimmt worden ist.“
© 2007 Lynagh