Auszüge aus der Vinland Saga von Josef Nyary
Wünsche viel Spaß beim lesen.
Wie der Mönch Tyrker Asgard schaute
Höher selbst als die sich drohend auftürmende Wetterwolke am Himmel,
weißer als frisch gefallener Schnee auf einem unbetretenen Gipfel,
glänzender als selbst das spiegelnde Eis der grönländischen
Inlandsgletscher und leuchtender als die gleißende Sommersonne ragte
die herrliche Götterburg aus einem grünenden Tal, das sich so weit wie
das Weltmeer erstreckte. Die Torflügel strahlten so hell wie zehn
Monde, die Zinnen der Zauberburg blinkten wie tausend Sterne und auf
den Wällen lag ein Schein wie von zehntausend feurigen Flammen. Soviel
Helligkeit ging von dem Göttersitz aus, dass Tyrker das Gesicht
abwenden musste und ihm Tränen zwischen den Lidern hervorquollen. Erst
nach einer ganzen Weile vermochte er sich an das blendende Licht zu
gewöhnen, das selbst aus dieser Ferne noch wie Messerstiche in den
Augen schmerzte.
»Was ist das?« keuchte der Mönch. »Nie zuvor sah ich Ähnliches! Dort,
dieser Regenbogen fast scheint es, als würde er mitten in diesem Glanz
geboren!<‘
>>Das ist Bifröst, die Brücke der Götter erklärte Thorhall
bewegt. »Keinem Sterblichen ist es vergönnt, sie zu betreten. Siehst du
das lodernde Feuer inmitten des Bogens? Es hält die Berg- und
Reifriesen ab, den Himmel zu stürmen. Jene Halle dort vorn aber, die an
dem Steig steht, heißt Himmelsburg und ist Heimdalls weitschauende
Warte. Hundert Meilen weit sieht dieser Wächter. Er braucht weniger
Schlaf als ein Vogel und hört die Wolle auf den Schafen wachsen. Wenn
das Weltende naht, bläst der Gott das Gellhorn, das du für die Posaune
eines deiner Engel hieltst!«
Offenen Mundes starrte der Mönch auf das himmlische Glanzgebilde,
dessen Umrisse seine Augen nur allmählich zu enträtseln vermochten.
“Und dort?» fragte er. »Was soll das sein, das wie ein Kiel geformt
ist?
“Das ist das Dach Noatuns der Schiffsstätte«, sagte der schwarze Hüne
ehrfürchtig. »Njörd, der Ase der Meere, wohnt dort, der auch dem Wind
und dem Feuer gebietet und frommen Fischern ergiebige Fänge beschert!«
Tyrker fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Wer aber
wohnt in dem Wald darunter?“ wollte er wissen. »Diese Bäume scheinen
mir höher zu wachsen als alle anderen auf der Welt!«
>>So ist es auch», erwiderte der Waidmann mit Stolz, »denn es
sind Ulls rotstämmige Eiben. Nach ihnen heißt dieser Ort Ydalir. Aus
ihrem Holz schnitzt der Jagdgott die Bogen und Speere. Viele Opfer
brachte ich ihm und hoffe ihm nach meinem Tode in seinem Eibental zu
besuchen»
»Und neben Ydalir?« fragte der Mönch als nächstes und fuhr sich mit der
Hand über die steile Stirn. »Dort funkelt es, als wäre der Boden ganz
mit Edelsteinen bedeckt!«
»Kleinodbank heißt dieses Haus». erläuterte Thorhall, erfreut über
Tyrkers Staunen. »Saga hält dort Hof, Odins Tochter, die täglich mit
ihrem Vater aus goldenen Bechern trinkt. Die Taten der Helden bewahrt
sie und soll dereinst auch von meinen erzählen!«
Staunend rollte der Mönch die vorstehenden Augen. »Dort dieses Dach !« rief er. »Ist es mit Silber gedeckt?
»Glastheim heißt diese Halle<<, belehrte der Hüne ihn, »Forseti
wohnt dort, Baldurs Sohn, der die Gerechtigkeit hütet. Frieden,
Eintracht und Versöhnlichkeit herrschen in seinem schimmernden Haus,
doch nur für den, der selbst das Rechte tut und keine Angst hat, dem
Unrecht mit eigener Hand zu wehren!«
«Noch heller strahlt der Bau darüber». sprach Tyrker ungläubig. »Gold bedeckt ihn bis zum Giebel!«
«Das ist Breitglanz, Baldurs heiliges Heim«, schilderte Thorhall, »die
Stätte der Reinheit, der schönste aller Paläste. Niemals tat Odins Sohn
Unrecht! Dennoch muß er nun in finsterer Unterwelt hausen, Opfer des
tückischen Loki, der Göttern und Menschen verhaßt ist!« Der Mönch hob
wieder die Hand vor die Augen und kniff die Lider zusammen. «Dort steht
ein Schloss in einem Garten, das scheint mir noch um vieles größer«,
sagte er voller Verwunderung, »nicht einmal die Pfalzen des Kaisers
besitzen solche Maße!«
«Dort überschüttet Freya die Gäste, die zu ihr kommen, mit allen
Freuden der Welt«, erwiderte Thorhall ergriffen. »Sessrumner, der
Vielsitzige, heißt ihr Saal, in dem sie die Frauen der Helden zum
Dienst der Liebe um sich versammelt.«
<Welche Pracht!« entfuhr es dem Mönch. «Welche Fülle! Auch auf der
anderen Seite Gold und Juwelen glitzern dort, als sei dieses Haus aus
den Kronen von Kaisern errichtet!«
«Das ist Friggs Feensaal“‘ lachte der Waidmann, ‘»die Falkengewandete
herrscht dort, Odins Gemahlin, die Mutter der Götter und Könige aller
Asen. Das Gold verwaltet sie und schafft den Überfluss. Zwei weiße
Luchse ziehen ihren Wagen, wenn sie nach Midgard hinabeilt,
unglücklichen oder bedrängten Menschen zu helfen.«
»Wem aber ist dieses Haus zu eigen dessen Dach sich dort wölbt wie ein
Schild?« fragte der kleine Mann und beschattete sich die Stirn. »Es
gleißt, als läge dort ein Spiegel, groß wie ein Kornfeld, unter der
strahlenden Mittagssonne!«
«Dort erhebt sich Thors hohe Halle«, antwortete der schwarze Hüne
ehrfürchtig. «Bilskirnir, Spiegelschild, nennen wir sie. Thors
Wohnstatt selbst aber ist, wie du wohl weißt, Thrudheim, Starkheim,
geheißen, weil es den Tapfersten aller Asen beherbergt. Höher als er
steht nur 0din selbst.«
«0din«, flüsterte Tyrker tonlos und hob den Blick. Ein greller Lichtschein erhellte sein zuckendes Antlitz.
«Ja«, sprach der Waidmann, «dort oben wohnt der Walvater, hoch über
allen anderen Asen. Walaskjalf heißt seine Halle, Hlidskjalf aber sein
Hochsitz, von dem aus er über die ganze Welt blicken kann. Auch uns
sieht er. Darum will ich dich nun fragen: >>Bist du bereit, dem
Knechtsgott abzuschwören und den Asen treue Gefolgschaft zu schwören?
Wenn du das tust, will ich dich am Leben lassen. Bedenke, welches Glück
dich erwartet! Einstmals zum Fraß für Hels Hunde bestimmt, wirst du
dann mit Göttern trinken, hochgeehrt von den tapfersten Helden und von
den edelsten Frauen begehrt! Mägde werden dir aufwarten, jede so schön,
daß du hundert Jahre brauchst um nur den Reiz einer einzigen ganz
auszukosten. Gold, Silber und die kostbarsten Edelsteine werden deine
Truhen füllen, auf deinem Tisch wird der beste Braten nicht kalt und
niemals schwindet der funkelnde Wein aus deinem Becher - was willst du
mehr? Gestehe endlich ein, daß die Asen des Nordens mächtiger sind als
der Götze des Südens. Speie mit mir auf den feigen Knechtsgott, der
dich ja doch nicht mehr retten kann, wenn er es überhaupt will!«
Da stieß ihn Tyrker von sich und rief: «Weiche von mir, du Sohn des
Satans! So versuchte Dein Vater einst unseren Herrn zu verleiten, als
er ihn auf einen Berg führte und ihm dort alle Reiche der Welt zeigte.
Schwach bin ich, ja und nur ein Mensch – dennoch will ich lieber
sterben als meinen Gott Verleugnen; du Teufelszauberer, schlimmer
Verführer und Diener des Bösen! Ha! Kehre zurück in deinen stinkenden
Pfuhl, du Höllengeschöpf – mich wirst du nicht verderben!<<
Der schwarze Hüne sah ihn höhnisch an. Dann sprach er: >> Noch
sind wir nicht am Ziel unserer Reise und wenn du Asgards Pracht auch
widerstandst, so will ich nun doch sehen, ob du auch Heilheims
Schrecken zu trotzen vermagst.<<
Zu den Trutzburgen der Riesen
Mit diesen Worten wandte er sein Pferd, trieb es talwärts und zog die
anderen Tiere mit straffer Hand hinter sich her. Während sie über die
steilen Felsen hinunterstiegen, sammelten sich wieder Wolken am Himmel
und bald war die herrliche Götterburg ihren Blicken entrückt. Der Wind
wehte immer stärker und wirbelte schwarzen Sand auf.
Unter überhängenden Felsen verbrachten die beiden Männer und ihre Tiere
eine unruhige Nacht. Am Morgen lag eine dünne Eisschicht auf dem
pechfarbenen Boden. Um die Mittagsstunde begann es zu schneien. Da
kamen Thorhall und Tyrker an einen Fluß voll kohlschwarzen Wassers.
Verwundert starrte der Mönch auf die Wellen, denn sie bewegten sich
nicht, sondern schienen zu Stein erstarrt.
>>Wer hat diesen Strom verhext?<< fragte Tyrker klopfenden
Herzens. >>Hausen hier Magier, der gleichen Wunderkraft mächtig,
die einst den Fluten des Jordan zu stehen befahl? Aber das kann doch
nicht sein!<< Schaudernd sah er, daß die Schneeflocken auf der
Oberfläche nicht liegen blieben, sondern verschwanden, als ob es sich
wirklich um Wasser handelte. Rauch kräuselte sich über den schwarzen
Wogen.
>>Das ist der Fluss, der die Gefilde der Götter von denen der
Riesen und Zwerge trennt<<, antwortete der Waidmann. >>So
sagte Odin in seinem Wissensstreit mit dem weisen Thursen Wafthrudnir,
dem Steller verwickelter Fragen:
>>Ifing der Strom heißt,
Der wider den Riesen
Das Land der Götter begrenzt.
Offen dahineilen
Soll er in Ewigkeit.
Niemals engt Eis ihn ein.<<
Vorsichtig ritten sie über das schwarzglänzende Gewirr ineinander
verschlungener Wellen, die sich wie steinerne Knäule kampflustiger
Nattern, Ottern und Vipern unter den Hufen der Pferde
dahinschlängelten. Dampf quoll aus dem steinernen Strom und Tyrker
spürte eine Hitze, als ob der Boden aus niemals erkaltender Asche
bestünde. Da wurde es dem Mönch noch unheimlicher zumute. Thorhall aber
lächelte grimmig und rief ihm zu:>> Asgard liegt hinter uns.
Wappne dich nun, die Schrecken der Schattenwelt zu schauen, für die du
dich in deinem Trotz entschiedst!<<
Was stört es eine alte Eiche - wenn sich eine wilde Sau dran scheuert