Eines Tages als Königin Frigga in Fensalir an ihrem Spinnrad saß, glücklich und dankbar dass Balder in Sicherheit war, kam da eine alte Frau die sich schwer an ihren Stock stützte und sie höflich begrüßte.
„Ich höre fröhliches Lachen auf den glücklichen Wiesen der Ida,“ sagte Frigga, „können Sie mir sagen was die Asen dort tun, es scheint dass sie dort viel Spaß haben?“ „Es ist merkwürdig,“ munkelte die alte Frau „sie wenden dort eine Art der Zauberkunst an. Balder steht lachend in der Mitte und alle Asen bewerfen ihn mit Steinen oder schiessen Pfeile auf ihn, oder sie fallen ihn mit ihren Waffen an. Aber nichts kann ihm schaden, ja der Boden liegt voll Äxte und Schwerten, Speeren und Pfeilen die sie vergebs nach ihn geworfen oder geschossen haben.“
„Aha,“ rief Frigga, mit einem vor Freunde strahlendem Gesicht, „dass kommt weil keine einzige Waffe Balder schaden oder ihm etwas Übles tun kann! Ich habe alles was auf der Erde lebt, wächst, oder sich bewegt, alles was daraus entsteht oder drauf fällt, oder sich im Wasser befindet einen Eid schwören lassen, dass sie Balder nicht Böses antun werden.“
„Und haben alle Bäume, Sträuche und Pflanzen, Blumen und Grässe wirklich alle geschworen, dass sie Balder nichts Böses tun werden?“ fragte die alte Frau.
„Alles was auf der Erde wächst,“ bestätigte Frigga. „Westlich der Walhalla steht ein Eichenbaum,“ sagte die alte Frau, „und daran wächst ein Pflänzchen >die Mistel< heißt sie. Das wächst nicht auf der Erde, aber hat auch dieses Pflänzchen geschworen Balder nicht Böses zu tun?“
„Oh, ich habe tatsächlich vergessen die Mistel einen Eid schwören zu lassen,“ antwortete Frigga, „aber sie ist so schwach und sanft und jung, dass sie niemandem Böse tun kann.“
„Ja, das ist so,“ bejahte die alte Frau, „ein einfaches Pflänzchen das nicht einmal Wurzeln hat sonder von der Eiche abhängig ist, das braucht ja keinen Eid schwören, denn es kann niemandem Böses tun.“
Danach verbeugte sie sich tief vor Frigga und humpelte langsam weg währenddessen sich die Königing der Asen wieder ihrem, mit Wolken umkränzten, Spinnrad widmete. Aber es schien als ob da ein Schatten vorbeizog und als ob die Sonne sich hinter den Wolken ihres Spinnrads versteckte.
Aus dem Fensalir Palast nach draussen gekommen, beeilte sich Loki, der wieder seine eigene Gestallt angenommen hatte, zu der Westseite Walhallas und schnitt ein Zweig der Mistel ab. Der bleichgrüne Zweig schien sehr schwach und zart und unschuldig, aber Loki schnitt ihn zu einem Pfeil, währenddessen er einen üblen Zauberspruch leise sang und blies dann darauf - wodurch der Pfeil so hart und scharf wie aus Eisen wurde. Mit dem Mistelpfeil unter seinem Mantel versteckt, schlich sich Loki zur Ida Wiese zurück, wo die Asen noch immer um Balder gescharrt standen und vergebens ihre Speeren und Pfeile nach ihm warfen. Auch war es einer Gruppe Trollen erlaubt auf die Ida Wiese zu kommen und auch sie warfen ihre Steinhammer nach Balder und kreischen vom Lachen wenn sie diese, ohne Schade anzurichten, auf den Boden fallen sahen. Auch war da ein Zwerg oder schwarzer Elfe bei der Gesellschaft, der eine erfinderische Waffe bei sich hatte, die scharf, stark und durch eine geheime Zauberkraft unfehlbar war; aber selbst die konnte nichts ausrichten gegen Balder, den Liebling der ganzen Welt.
Nur der blinde Höd beteiligte sich nicht an diesen Spielen. Er stand bei einem Baum und hörte dem fröhlichen Gelächter, dem Geschrei und dem Durcheinender zu. „Warum wirfst du nicht etwas nach Balder?“ fragte Loki der Verführer, der sich still Höd näherte. „Ich sehe Balder nicht und weiss nicht wo er steht,“ antwortete Höd seufzend, „und außerdem besitze ich keine Waffe, weil ich blind bin.“
„Ach wie Schade, dass ausgerechnet du als einziger der Asen deinem Bruder nicht die Ehre erweisen kannst, ihn mit einer harmlosen Waffen zu bedrohen,“ sagte Loki. „Aber wenn du willst, werde ich dir einen Stock geben und dir helfen den Wurf zu richten.“ Da ließ Höd das Pfeilchen von Loki in seine Hand legen und sein Arm so zu richten, dass er sein Ziel erreichen sollte. Und er machte einen Schritt nach hinten und warf den Pfeil mit so einer Kraft, dass er durch Balders Körper flog und der Sonnige Held tot zur Erde fiel.
Und das war das größte Unglück und Unheil, dass den Göttern und Menschen je widerfuhr. Als die Asen Balder fallen sahen, fiel da tiefe Stille rundherum und ihre Hände fühlten sich kraftlos, so dass niemand ihn auffangen konnte. Sie sahen einander an, die Augen gross von Schrecken und als sie sprechen wollten, kamen nur Tränen, so dass kein Wort über ihre Lippen kam.
Nur Höd weinte nicht. Er blieb dort stehen wo ihn Loki verlassen hatte und sein Ellend und seine Bestürzung waren so gross und tief, dass er keine Tränen mehr hatte. Bald wussten die Asen wer den schicksalhaften Pfeil geworfen hatte; und obwohl sie wussten, dass er Balder nicht verletzen wollte, wussten sowohl Höd als die Asen selbst, dass er sterben mußte – denn das eiste der Gesetze des Nordens, das sicher auch nicht durch die Asen gebrochen werden durfte.
Doch es berührte niemand Höd, niemand griff ihn an, da sie alle geschworen hatten einander nie etwas Böses antun; ausserdem durfte auf der goldenen Wiese der Ida und direkt vor dem Palast Breidablik kein Blut vergossen werden. Nach der drückenden langen Stille die eine zeitlang herrschte und die gefolgt wurde durch einen wilden Ausbruch des Kummers und der Betrübnis, sagte Frigga zu den Asen: „Wer von euch will für immer und ewig meine Liebe und Gunst gewinnen?! Wer will nach Helheim reiten um Balder zu suchen und Hella zu fragen welches Lösegeld sie fordert und annehmen bereit wäre um Balder wieder nach Asgard zurückkehren lassen?“
Eine Weile herrschte Stille, denn so eine Reise war schwierig und der Weg dorthin voll Gefahren. Da aber sprang Hermod auf, der schnellste aller Asen und Odins treuester Gefährte, kam nach vorne und sagte: „Ich will die Reise nach Niflheim antreten,“ rief er, „in das dunkle Königreich der Toten, ich werde mit Hella sprechen und selbst ihren Palast betreten, all das werde ich tun wenn ich dadurch meinen geliebten Bruder Balder zurück in das Licht der Welt bringen kann.“ „Gehe dann,“ befahl Odin, „und nehme Sleipnir, mein Pferd mit den acht Beinen, damit du schnell reiten kannst. Denn nur alleine ich weiss, was Balders Tod für uns Asen bedeutet.“
© 2007 Lynagh