Erna von VACANO-BOHLMANN 1938
Von Mütternacht und Perchtenumzug
Die Angelsachsen feiern unmittelbar vor dem mehrtägigen Julfest, und zwar an unseren Weihnachtsabend, die Mütternacht, die modrahnet, von der Beda berichtet:
"Sie begannen aber das ganze Jahr vom achten Tage vor den Kalenden des Januars, wo wir jetzt den Geburtstag des Herrn feiern und diese Nacht, jetzt uns heilig, nannten sie damals in heidnisscher Bezeichnung modraneht, das ist der Mütternacht, wie wir vermuten, der Gebräuche wegen, die sie durchwachend ausüben." (De temporum ratione 13)
Die hier erwähnten Mütter sind wohl die Disen oder Nornen, die Schicksalsfrauen, aus denen die neue Zeit anhebt. Ihre Zahl ist drei, neun oder zwölf. Hierzu kann die vierte oder dreizehnte als gegensätzliche auftreten.
Und so lag um diese Zeit im nordischen Brauchtum das Disding mit dem Disablót, dem Opfer an die Diesen, das zugleich ein Opfer an die Toten bedeutete, denn so wie Frau Holle in anderer Beziehung die Hel darstellte und der Storch der Seelenvogel war, so standen auch die "Mütter" als Lebensbringerinnen und Schicksalsfrauen mit den Toten in Verbindung, weil ja Leben und Tod im ganzen germanischen Brauch eng zusammengehören.
Wenn die Toten hinter Wodan oder hinter Frau Holle im wilden Herr über die Erde ziehen, dann gehen auch die Mütter um. Im Perchtenlauf zu Rauhnacht und am Epiphaniastag ist ihr Umlauf erhalten. Man bereitet ihnen gastlich den Tisch, so zu Dreikönig in Deutschland für die Frau Holle. In der Schweiz legt man am Neujahrsabend den Hausgeistern Brot und Messer auf den Tisch, wie die Kinder dem Weihnachtsmann Brotkanten für seinen Schimmel vors Fenster packen. Im Norden deckt man am Weihnachtsabend für die Engel oder die Seelen den Tisch, und in Frankreich geschah das entsprechende in der Neujahrsnacht für die Herrinnen oder die "guten Frauen", die "bonnes dames".
Der Bischof Burchard von Worms kannte diese Sitte (um 1ooo) und wußte, das es sich um drei Schwestern handelte, also um die drei Nornen.
Im Norden geht der "Jultog" oder "Julefolk" bis zum Dreikönigsabend durch das Land, bei uns vor allem aber der Perchtenzug, der wie dort im späteren Brauchtum allerlei merkwürdige Gestalten mitführt: zweibeinige Pferde ohne Kopf oder drei- oder achtbeinige Pferde. (Sleipnir das Odinsroß, ist auch auf einem Runenstein achtbeinig abgebildet, während eine Schaumütze aus der Völkerwanderungszeit das dreibeinige Pferd zeigt.) Auch Wehrwölfe sind im Zug, Menschen, die sich Wolfs- und Bärenfelle übergehangen haben. Der Wolf erinnert an den Fenriswolf und dem, der im Märchen Rotkäppchen (also das Licht, die Mondsichel) verschlingt. Auch der Bär ist bis zu Fastnachtszug eine bekannte Gestalt, die nichts anderes als das winterliche Dunkel bedeutet, mit dem das Licht jetzt um den sicheren Sieg ringen muß. Und so geht er wohl als Erbsbär mit im Perchtenzug, auch der Storch darf nicht fehlen, Frau Holles Tier, der Adebar. Auch in Brandenburg, Pommern und Ostpreußen sind solche Umzüge in der Vorweihnachtszeit bis in die Fasnachzeit hinein (Zempern gehen) noch üblich.
Schon der Name der Perchten, der "Leuchtenden", "Glänzenden" sagt uns, das sie eigentlich nicht der Kinderschreck sind, zu dem sie wie die alte "Perchta" in Kärnten und die "Thomasberta" in Nordbayern gemacht wurden, sondern die selben Lichtbringer wie die Luzelfrau, die Luzia-Braut, die am 13. Julmond mit einer Lichterkrone auf den Haar, weißgekleidet, durch das schwedische Haus geht und die Luziabissen: Juleber, Thorsböcke und Hähne aus Kuchenteig an Menschen und Tiere austeilt, dazu duftenden Kaffee, der wohl ein heimisches Getränk allmählich verdrängt hat.
Die Perchten sind doppelgestaltig, wie Frau Holle, die Zeit, die ihr Vorbild ist. In der Rauhnacht stürmen sie zu zwölfen in dunklen Fellen mit häßlichen, dunklen Holzmasken unter dem Gelärm von Kuhglocken, Brummtöpfen und "Teufelsgeigen"auf ihren Schneeschuhen durch Dorf und Feld, vom Fackellicht beschienen und von allerhand vermummten Gestalten, wie sie oben geschildert sind, begleitet. Am folgenden Tag aber schreiten sie feierlich, voran ein Burschenpaar als Mann und Frau mit einem strahlenden Kopfputz und der herrlichen großen Sonnenmaske als schöne Perchten durch den Ort und über die Flur. Hinter sich führen sie die gefesselten, "schiachen" Perchten, die sie besiegten, wie die Sonne jetzt die dunkle Zeit überwand, die die ganze Welt zur neuen Blüte führen wird. Darum werfen sie den Umstehenden auch Fruchtbarkeitbilder zu, Wickelkindpuppen, und führen einen Bock mit sich im Zug.
So ist es heute in versteckten Winkeln Bayerns und in Tirol noch Brauch. Hier und da sind die Zahlen allerdings verschieden, dann werden aus zwölf "schiachen" und zwölf schönen Perchten drei schöne und drei "schiache", so das wider der Monat mit seinen drei lichten und der einen dunklen Mondwoche mit dem Zwölf-Monats-Jahr abwechselt. Es ist die neue Zeit, das junge Jahr, das vom alten heraufgeführt wird, wie die häßlichen Perchten als Sinnbilder der vergangenen Monate noch vor dem strahlenden Paar, das Ausdruck des Neuanfangs des Lebens ist, Dorf und Flur durchziehen.