9. Mai 1945
Nachts ist unserem Gepäck nochmals von der bewachenden Militärpolizei ein Besuch abgestattet worden und aus diesem Grunde bleiben ein deutsches Kreuz in Gold, ein EK und ein Ledermantel verschwunden. Noch in den Morgenstunden werden wir nach Erlangen verfrachtet. [...]Diese Zivilisten sind der erste Kontakt mit den Menschen, die in der Heimat fast sechs Jahre lang in beispielloser Weise die Last des Krieges trugen, die der der Front nur wenig nachstand dank der unmenschlichen Kriegführung unserer Feinde. Es werden die selben Menschen sein, die zusammen mit den deutschen heimgekehrten Soldaten die Heimat einst wieder aus den Ruinen emporheben werden, trotz Haß und gier, Versklavung und Ausplünderung. Denn wenn man Deutschland vernichten will, muß man letzten Endes so gut wie jeden deutschen Mann, jede deutsche Frau, jedes deutsche Kind vernichten! [...]
In Erlangen werden wir in der Gossenfabrik abgeliefert und in einen rückwärtigen gelegenen Raum des Portierhäuschen geführt wo ein amerikanischer MP-Offizier uns mit einem Englisch empfängt, das von einem kräftigen Berliner Akzent überwuchert wird. Irgendwie scheinen wir ihm zu imponieren, denn als wir sagen wir hätten Hunger, kommt er mit acht Konservendosen für jeden angewetzt. [...] Nach zwei Stunden werden wir in einen Vorraum geführt, wo drei Generalstabsoffiziere und ein Dolmetscher uns vernehmen sollen. Der Dolmetscher war notwendig, weil wir natürlich kein Englisch verstanden, wir unterbrachen ihn aber des öfteren, weil er die größten Fehler beging. Zuerst wurden uns reihenweise KZ-Geschichten aufgetischt, die von zahlreichen fotografischen Aufnahmen begleitet waren. Als wir unsere Ansicht äußerten, daß die Aufnahmen wahrscheinlich von den Terrorangriffen auf Dresden und andere Städte herstammten, wurden die Herren ziemlich böse und nachdem ich hinzufügte: "es hat wirklich keinen Sinn, daß wir uns jetzt schon zanken, denn über kurz oder lang werden Sie sich mit den Russen in die Haare geraten!", da wurde die Vernehmung schnellstens abgebrochen. Darauf mußte ich zum Arzt, der gleichfalls einen starken daitschen Akzent aufwies und sich als ein recht übler Bursche herausstellte.
Mein Beinstumpf war noch offen und bedurfte einer einigermaßen anständigen Versorgung. Aber dieser Diener der leidenden Menschheit meinte: "Wer mit einem Bein für die Nazis geflogen ist, kann nicht erwarten, daß wir etwas für seinen Fuß tun!" Sprachs und zerrte etwas am Stumpf herum.[...]
Nachmittags um vier Uhr wurden wir zum General Wyland und seinem Ic Capt. Ross geführt. Beide waren erfreuliche Erscheinungen und der General begrüßte uns mit Handschlag, wie ein anständiger Soldat es mit einem anständigem Soldaten tut. Die Unterhaltung drehte sich hauptsächlich um Rußland und ich gab ihm zu verstehen, daß wir unaufhörlich festgestellt hatten, wie die russische Front zwar noch stark sei, aber nur einmal durchbrochen den Aufbau von kampfkräftigen Reserven geschweige einer tiefgestaffelten Verteidigung, nicht mehr zuließe. Würde man jetzt die Gelegenheit, die Sowjetunion rasch und endgültig niederzuwerfen, vorbeigehen lassen, würde es eine langwierige und kostenspielige Geschichte werden, nicht nur für Amerika, sondern auch für Deutschland, Europa und die ganze Welt, die dann die Folgen eines ebenso irrigen wie anrüchigen Glaubens an die Aufrichtigkeit und Friedensabsichten der jetzt so salonfähigen Kommunisten früh oder spät bitter zahlen würden. Wyland und Ross machten den Eindruck, einen ziemlich klaren Blick für die wirkliche Lage zu haben, aber schienen andererseits aus einer begreiflichen Reserve nur schwer herauszukommen zu können. [...]
Hans-Ulrich Rudel: "Verloren ist nur, wer sich selbst aufgibt!"