Wolframs Unruhe wuchs. Immer noch keine Nachricht von dem Elbenfreund, ob er sich der Elbin anvertrauen sollte? Aber es hieß vorsichtig sein, es stand einfach zuviel auf dem Spiel, es ging schon längst nicht mehr um den hier bunt zusammen gewürfelten Haufen. Es ging um viel mehr, selbst Hagen der Elb wusste nicht alles, mehr sollte er von dem hohen Rat erfahren und wollte dann Wolfram eine Nachricht zukommen lassen, sicher durch den Falken des Elben, aber nichts geschah und die Narbe fing wieder zu brennen an. Die Sorge und die Ungewissheit machten Wolfram schwer zu schaffen, und wer waren die anderen aus der Gruppe? Konnte er jedem trauen? Man kann nicht vorsichtig genug sein, überall konnten Lumpen und Verräter lauern, er dachte an seine Eltern. Auch sie wurden verraten, gefoltert und ermordet.
Wotan lag wieder zu Füßen der Magierin, er schien ihr zu vertrauen. Ich werde sie nach dem Frühstück mal fragen. Wieder suchten seine Augen den Himmel ab und die Hand ging an die Narbe, die sich jetzt wieder ein wenig beruhigt zu haben schien. Wolfram stieß einen leisen kaum hörbaren Pfiff aus, eine leichte, mit den Augen kaum zu sehende Bewegung des Fingers mit dem Runenring und Wotan kam auf der Stelle zu ihm und legte seinen Kopf auf seinen Schoß. Tief in Gedanken kraulte er den Kopf des herrlichen Tieres. "Nun laß uns erst etwas essen, mein Freund, dann sieht die Welt vielleicht ein wenig anders aus."
Als alle gegessen hatten und sich einen Moment zurücklehnten sah Wolfram die fragenden Blicke der anderen, langsam und mit ruhigen Bewegungen nahm er eine Pfeife mit schneeweißem Kopf aus einer seiner Tasche und begann sie zu stopfen. "Der Kopf dieser Pfeife ist aus einem Material dass es nur auf einer Insel ganz weit im Süden zu finden ist und man nennt es dort Meerschaum", sagte Wolfram auf die neugierigen Blicke der anderen. Die Pfeife anzündend und Wotans Kopf auf seinem Schoß begann er nach ein paar Zügen den aufsteigenden Rauch nachblickend mit ruhigen Worten zu erzählen:
"Es war vor vielen vielen Wintern als ich genau zur Wintersonnenwende in einer äußerst stürmischen Nacht, selbst für isländische Verhältnisse, das Licht Midgards erblickte, in dickes Bärenfell eingewickelt trug mein Vater mich voller Stolz über sein Anwesen, um jedem zu zeigen, dass der langersehnte Stammhalter endlich nach drei Töchtern da war und somit die Erbfolge sicherte." Bei der Erwähnung der drei Schwestern verdunkelten sich Wolframs Augen voll unsagbarem Schmerzes wie es schien, doch fing er sich nach ein paar weiteren Zügen an der Pfeife wieder, legte die Pfeife behutsam zur Seite und als wüsste er nicht was tun mit den Händen kraulte er den Kopf des Wolfes, der seinem Herrn seltsam ansah.
"Der Landsitz meiner Ahnen, auf dem mein Vater Thorleifson und seine Frau Sigrun ihren Hochsitz hatten und dort die besten und edelsten Isländerpferde züchteten, die es jemals gegeben hat, befand sich hoch im Norden der Insel, nicht weit vom Vatnajökull entfernt nahe Baöarbunga." Wieder schien der Schmerz aus Wolframs Augen und seine Hände griffen stärker in das Fell des Wolfes. "Meine Kindheit war keinesfalls die eines Sohnes reicher und angesehener Herren, nein, das war sie nicht, meine Mutter kümmerte sich um meine geistige Bildung und überließ mich der Obhut von Runa, einer weisen Alten, die mich die Edda und die Weisheit der Runen lehrte. Mein Vater, ein alter und erfahrener Krieger, lehrte mich die Kriegskunst, aber auch weise und mildtätig mit den Besiegten umzugehen, denn oft werden diese treue Verbündete.
Meine drei Schwestern waren sehr kunstfertig, was das Anfertigen von Schuck aus Silber und guter und zweckmäßiger Lederkleidung für den Krieger anging, auch ihre Kleider genossen allseits große Bewunderung." Verstohlen wischte sich Wolfram über die Augen als sei er noch müde. Als er die Pfeife wieder aufnahm, nach Stahl und Zunder sucht, scheint es als zittere die Hand ganz leicht.
"Zu der Zeit begann das dunkle Zeitalter vom Süden herauf zu ziehen. Immer öfter hörte man von einem neuen und fremden Gott, der nichts gemein hatte mit den alten Lehren und heiligen Gesetzen. Die Diener, diese verdammten Knechtsgottanbeter, drangen immer weiter in den Norden vor." Immer fester scheinen die Hände in das Fell des Wolfes zu greifen und für den Bruchteil einer Sekunde stockt die Stimme, als Wolfram anfängt schneller zu erzählen, fast so als seien Erinnerung und Schmerz zu groß.
"Zu dieser Zeit waren meine drei Schwestern Beeren und Pilze sammeln, die es in Hülle und Fülle gab, und die immer wieder eine willkommene Beilage zum Wildbret darstellten. Eines Tages berichteten sie von Fremden in langen schwarzen und braunen Kutten, die von dem fremden Gott redeten und sie sehr begehrlich ansahen, so wie es sich nun gar nicht geziemt. Auch versuchten diese Kerle Hand an meine Schwestern zu legen, aber stolz schlugen sie den Kerlen in das feiste Gesicht." Leise beginnt Wotan zu jaulen und sofort werden die Hände in seinem Fell wieder sanfter.
"Zu dieser Zeit musste ich zu einem Schiffsbauer an die Küste, denn uns war klar geworden, dass es besser sei nach Grönland zu den Ahnen meiner Mutter zu segeln. Zu dieser Zeit waren meine Schwestern im Wald, um Pilze und Beeren zu sammeln. Tage später kamen die Schwestern vom Beeren sammeln nicht nach Hause, sofort machte mein Vater sich auf die Suche", Wolfram erzählte jetzt deutlich schneller, man merkte wie sehr er sich quälte, "er fand sie dann geschändet und ermordet, in die Büsche geworfen wie Abfall und mit eingeschlagenen Gesichtern. Mein Vater tat, was ein Mann mit Ehre im Leib tut. Er bestattete erst seine Töchter in allen Ehren, dann ritt er los und erschlug fünf von den Kerlen, was danach geschah erfuhr ich von unseren Knechten, die Mutter war nicht mehr ansprechbar, der Vater fast verrückt vor Schmerz, ein paar Tage später kam ein Trupp Pfaffen und Soldaten wie Diebe in der Nacht, Verräter hatten für ein paar handvoll Geld meine Eltern verraten. Sie wurden bestialisch gefoltert und anschließend verbrannt. Allerdings hielten sie ihre Häupter trotz unsagbarer Schmerzen stolz und aufrecht und so starben sie. Wieder zurück nahm Ich den Schild und das Schwert meines Vaters, schnitt mir die Todesrunen auf die Brust und ritt mit Grani los, um die Familie zu rächen. Fragt nicht weiter wie, jedenfalls bevor die Sonne aufging war meine Rache vollzogen und den Opfern genüge getan. Was jetzt tun, die Familie gemordet, Hof und Pferde verbrannt, Schild und Schwert des Vaters bei der Vergeltung zerbrochen? So habe ich dreingeschlagen, ich hatte nur noch den Ring und Dolch meiner Mutter sowie den treuen Grani, noch in der selben Nacht verließ ich meine Heimat Island als Vogelfreier, als Verdammter."
Verstohlen griff Wolfram zur rechten Hand, wo sich die Narbe befand, und erschrak, "es ist wohl besser wenn wir jetzt aufbrechen, bitte fragt mich nicht, ich muss mit meinen Gedanken für eine Zeit allein sein, außerdem müssen wir schleunigst von hier verschwinden, zumindest für kurze Zeit, später werde ich euch weiter erzählen was geschah und wie ich Hagen den Elb und Blutsbruder fand, auch wie ich zu Wotan kam sollt ihr erfahren."
Was spielt es schon für eine Rolle, langsam steckt Wolfram seine Pfeife, Stahl und Zunder ein, steht auf und geht nach draußen, wo seine Augen wieder den Himmel absuchen.