[table='2'][*]Ostara
[*]von Otto Julius Bierbaum ( 1865-1910 )
[*]1. Ostara, die gute Göttin,
Die aus hellen Augen lacht,
Daß von ihrem jungen Lichte
Alles Schlafende erwacht,
[*]2. Ostara, die frühlingsfrische
Jungfrau Göttin, deren Mund
Duftet wie die ersten Veilchen,
Mildgewürzig, herbgesund,
[*]3. Ostara, die Ungestüme,
Liebevolle, die die Welt
Wie ein Bund von Maienrosen
An die vollen Brüste hält,
[*]4. Ostara, die Magd und Fürstin,
Königlich und bäuerlich –:
Wie die Zeiten sich auch wandeln,
Immer offenbart sie sich.
[*]5. Ihre Opferherde sanken,
Als das Kreuz sich steil erhob,
Aber jedes Frühjahr rauschen
Wald und Busch ihr Dank und Lob.
[*]6. Die in Wäldern grün sich kränzten,
Ach, die Deutschen wurden grau,
Aber hell geht durch das Grüne
Noch die frühlingslichte Frau,
[*]7. Wenn die Urständ sich erneuern,
Wenn das Leben auferwacht,
Denn noch immer gibt es Herzen,
Die der Frühling gläubig macht,
[*]8. Gläubig zu den alten Göttern,
Die der deutsche Wald gebar,
Als er noch ein Reich von freien,
Heiter kühnen Männern war,
[*]9. Die in Kampf und Liebe lachten,
Fest aufs Eigene gestellt,
Drob in Einfalt und in Treue,
Bildner einer eignen Welt
[*]10. Voller Märchen und voll Taten,
Rätselvoll und voller Licht.
Diese Welt ist hingesunken,
Aber ihre Schönheit nicht.
[*]11. Was ein Volk aus seinem Herzen
Sich zum Bild schuf und zur Lust,
Feiert immer wieder Urständ
Selbst in schwacher Enkel Brust.
[*]12. Und so sei in diesen Tagen
Voller Glanz uns Ostara,
Die die Väter uns gedichtet,
Huldreich voller Gnaden nah.
[*]13. Ostara, die Ungestüme,
Liebevolle, die die Welt
Wie ein Bund von Maienrosen
An die vollen Brüste hält.
[*][/table]Bild: Johannes Gehrts ( 1855 -1921 ) Historienmaler, Illustrator (u.a. germanische Mythologie, Märchen-, Kinder-, Jugend- u. Abenteuerbücher, Romane) z.B. Walhall: Germanische Götter- und Heldensagen v. Felix Dahn; Götter und Helden der alten Germanen v. Fr. Amerlan; Germanisches Gehöfte; Das Buch der Deutschen Flotte ; Deutsche Treue, welsche Tücke ...
Einige seiner Werke: >>
"Germanisches Osterfest"
Es kam der Hirt vom Anger und sprach: "Der Lenz ist da!
Ich sah sie in den Wolken, die Göttin Ostara:
Ich sah das Reh, das falbe, der Göttin rasch Gespann,
Ich hörte, wie die Schwalbe den Botenruf begann.
Es brach das Eis im Strome, es knospt der Schlehdornstrauch:
So grüßt die hohe Göttin, grüßt sie nach altem Brauch".
Da ziehn sie mit den Gaben zum Hain und zum Altar,
Die Mädchen und die Knaben, der Lenz von diesem Jahr:
Das Mädchen, das noch niemals im Reigentanz sich schwang,
Und doch vom Knabenspiele schon fernt ein scheuer Drang.
Der Knabe, der noch niemals den Speer im Kampfe schwang,
Und dem der Glanz der Schönheit doch schon zum Herzen drang.
Sie spenden goldnen Honig und Milch im Weiheguß,
Und fassen und umfangen sich in dem ersten Kuß.
Und durch den Wald, den stillen, frohlockt es: "Sie ist da!
Wir grüßen dich mit Freuden, o Göttin Ostara!"
Gute Göttin, du vom Aufgang, Gabenreiche, du bist da!
Und wir grüßen dich mit Andacht, gute Göttin Ostara!
Aus dem fernen Sonnenlande, draus der Väter Wandrung brach,
Ziehst du jährlich ihren Enkeln in des Nordens Wälder nach.
Längst begraben ist der Letzte, der dort deine Säulen sah,
Doch wir wissen’s noch: vom Aufgang sind auch wir, wie Ostara.
Rüttelt hier die Eichenwälder mondenlang des Sturmes Frost,
Klingen an dem Herd uns wieder Märchen alt aus goldnem Ost.
Und wir haben’s nicht vergessen, und in Sagen tönt es nach,
Wie der Ahn an blauen Strömen wunderschöne Blumen brach.
- Felix Dahn u. Therese Dahn geb. Freiin v. Droste-Hülshoff - aus Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen 1903 [Gedichte II. Sammlung. Gesamtausgabe XVI, S. 252, 1898]
In diesem Sinne wünsche auch ich allen schöne Ostertage sowie eine heilbringende Zeit.
M.k.G., U-34