1. Mai 1945:
[...] So gut wir können, schlagen wir immer wieder die wütenden Angriffe der Russen auf Bautzen und Königsbrück ab. [...] Aber da hat einer den Lautsprecher angeschaltet und plötzlich spricht eine Stimme langsam und klar, jede Silbe deutlich akzentuierend, diese unfaßbare Meldung: Der Führer gefallen!
Wie lang ist es her, daß ich das letzte Mal Angst, ganz bewußt Angst empfunden habe? Aber jetzt, bei dieser Meldung überfällt sie mich, würgt mich, schnürt mir den Hals zu. Es ist mir, als versänke ich in einem Abgrund von grauer Trostlosigkeit, und das ganze Gebäude von erkannter Notwendigkeit und bewußter Entschlossenheit, das ich mir in den letzten Monaten aufgebaut hatte, droht jäh zusammenzubrechen. [...]
Der Führer tot. Eine gähnende Leere, das absolute Nichts tut sich auf, und plötzlich begreife ich, was dieser Mann in Wahrheit bedeutete. Er war das Zentrum, auf das wir unbewußt al unsere Hoffnung setzten. Solange er lebte, war uns der Krieg nicht verloren, solange er lebte, war kein Mißstand unheilbar, solange er lebte, war die Idee immer noch stärker als alle menschliche Unzulänglichkeit. Solange er lebte, konnten wir nicht verzweifeln. Er war der große Willensmotor der Nation, hielt alles zusammen und alles in bewegung. Er machte die Deutschen zu einem Volk in dem Sinne, in dem sie es noch nicht gewesen waren. - Und nun ist er nicht mehr. -
[...] Keiner spricht ein Wort. Wir wagen kaum, uns flüchtig anzusehen. Uns allen ist eine Welt zusammengebrochen. Jetzt fühlen wir erst, wie stark wir alle noch gehofft hatten, trotz allem!
Mit brüchiger Stimme gebe ich meine Befehle. Wir starten und fliegen unseren Einsatz, greifen bei Bautzen und Königsbrück Panzer an und vernichten sie. Was sollen wir auch anderes tun? Russenpanzer sind genug da, überall, mehr als genug. Wien ist russisch, Berlin ist russisch, der Rhein ist amerikanisch, Norddeutschland englisch, aber Bautzen und Königsbrück sind wieder deutsch. Lächerlich diese Bilanz, aber unsere Pflicht, unsere Soldatenpflicht heißt jetzt Bautzen und Königsbrück, nichts weiter. [...]
Hans-Ulrich Rudel: "Verloren ist nur, wer sich selbst aufgibt!"