Die Verfassung des
Deutschen Reichs
["Weimarer
Reichsverfassung"]
vom 11. August 1919
Präambel
Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein
Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuen und zu festigen, dem inneren und
dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern,
hat sich diese Verfassung gegeben.
ERSTER HAUPTTEIL
Aufbau und Aufgaben des Reichs
ERSTER ABSCHNITT
Reich und Länder
Artikel 1
(1) Das Deutsche Reich ist eine
Republik.
(2) Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.
Artikel 2
(1) Das Reichsgebiet besteht aus den Gebieten der deutschen Länder. Andere Gebiete können durch Reichsgesetz in das Reich aufgenommen werden, wenn es ihre Bevölkerung kraft des Selbstbestimmungsrechts begehrt.
Artikel 3
(1) Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold. Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.
Artikel 4
(1) Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts.
Artikel 5
(1) Die Staatsgewalt wird in Reichsangelegenheiten durch die Organe des Reichs auf Grund der Reichsverfassung, in Landesangelegenheiten durch die Organe der Länder auf Grund der Landesverfassungen ausgeübt.
Artikel 6
(1) Das Reich hat die ausschließliche Gesetzgebung über:
1. die Beziehungen zum Ausland;
2. das Kolonialwesen;
3. die Staatsangehörigkeit, die Freizügigkeit, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
4. die Wehrverfassung;
5. das Münzwesen;
6. das Zollwesen sowie die Einheit des Zoll- und Handelsgebiets und die Freizügigkeit des Warenverkehrs;
7. das Post- und Telegraphenwesen einschließlich des Fernsprechwesens.
Artikel 7
(1) Das Reich hat die Gesetzgebung über:
1. das bürgerliche Recht;
2. das Strafrecht;
3. das gerichtliche Verfahren einschließlich des Strafvollzugs sowie die Amtshilfe zwischen Behörden;
4. das Paßwesen und die Fremdenpolizei;
5. das Armenwesen und die Wandererfürsorge;
6. das Presse-, Vereins- und Versammlungswesen;
7. die Bevölkerungspolitik, die Mutterschafts-, Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge;
8. das Gesundheitswesen, das Veterinärwesen und den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge;
9. das Arbeitsrecht, die Versicherung und den Schutz der Arbeiter und Angestellten sowie den Arbeitsnachweis;
10. die Einrichtung beruflicher Vertretungen für das Reichsgebiet;
11. die Fürsorge für die Kriegsteilnehmer und ihre Hinterbliebenen;
12. das Enteignungsrecht;
13. die Vergesellschaftung von Naturschätzen und wirtschaftlichen Unternehmungen sowie die Erzeugung, Herstellung, Verteilung und Preisgestaltung wirtschaftlicher Güter für die Gemeinwirtschaft;
14. den Handel, das Maß- und Gewichtswesen, die Ausgabe von Papiergeld, das Bankwesen sowie das Börsenwesen;
15. den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie mit Gegenständen des täglichen Bedarfs;
16. das Gewerbe und den Bergbau;
17. das Versicherungswesen;
18. die Seeschiffahrt, die Hochsee- und die Küstenfischerei;
19. die Eisenbahnen, die Binnenschiffahrt, den Verkehr mit Kraftfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft, sowie den Bau von Landstraßen, soweit es sich um den allgemeinen Verkehr und die Landesverteidigung handelt;
20. das Theater- und Lichtspielwesen.
Artikel 8
(1) Das Reich hat ferner die Gesetzgebung über die Abgaben und sonstigen Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch genommen werden. Nimmt das Reich Abgaben oder sonstige Einnahmen in Anspruch, die bisher den Ländern zustanden, so hat es auf die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen.
Artikel 9
(1) Soweit ein Bedürfnis für den Erlaß einheitlicher Vorschriften vorhanden ist, hat das Reich die Gesetzgebung über:
1. die Wohlfahrtspflege;
2. den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.
Artikel 10
(1) Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze aufstellen für:
1. die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften;
2. das Schulwesen einschließlich des Hochschulwesens und das wissenschaftliche Büchereiwesen;
3. das Recht der Beamten aller öffentlichen Körperschaften;
4. das Bodenrecht, die Bodenverteilung, das Ansiedlungs- und Heimstättenwesen, die Bindung des Grundbesitzes, das Wohnungswesen und die Bevölkerungsverteilung;
5. das Bestattungswesen.
Artikel 11
(1) Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben aufstellen, soweit sie erforderlich sind, um
1. Schädigung der Einnahmen oder der Handelsbeziehungen des Reichs,
2. Doppelbesteuerungen,
3. übermäßige oder verkehrshindernde Belastung der Benutzung öffentlicher Verkehrswege und Einrichtungen mit Gebühren,
4. steuerliche Benachteiligungen eingeführter Waren gegenüber den eigenen Erzeugnissen im Verkehre zwischen den einzelnen Ländern und Landesteilen oder
5. Ausfuhrprämien
auszuschließen oder wichtige Gesellschaftsinteressen zu wahren.
Artikel 12
(1) Solange und soweit das Reich von seinem Gesetzgebungsrechte keinen Gebrauch
macht, behalten die Länder das Recht der Gesetzgebung. Dies gilt nicht für die
ausschließliche Gesetzgebung des Reichs.
(2) Gegen Landesgesetze, die sich auf Gegenstände des Artikel 7 Ziffer 13
beziehen, steht der Reichsregierung, sofern dadurch das Wohl der Gesamtheit im
Reiche berührt wird, ein Einspruchsrecht zu.
Artikel 13
(1) Reichsrecht bricht Landrecht.
(2) Bestehen Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine
landesrechtliche Vorschrift mit dem Reichsrecht vereinbar ist, so kann die
zuständige Reichs- oder Landeszentralbehörde nach näherer Vorschrift eines
Reichsgesetzes die Entscheidung eines obersten Gerichtshofs des Reichs anrufen.
[Art. 13 Abs. 2 wurde durch
Reichsgesetz zur Ausführung des
Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 8. April 1920
konkretisiert.]
Artikel 14
(1) Die Reichsgesetze werden durch die Landesbehörden ausgeführt, soweit nicht die Reichsgesetze etwas anderes bestimmen.
Artikel 15
(1) Die Reichsregierung übt die Aufsicht in den Angelegenheiten aus, in denen
dem Reiche das Recht der Gesetzgebung zusteht.
(2) Soweit die Reichsgesetze von den Landesbehörden auszuführen sind, kann die
Reichsregierung allgemeine Anweisungen erlassen. Sie ist ermächtigt, zur
Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu den Landeszentralbehörden und
mit ihrer Zustimmung zu den unteren Behörden Beauftragte zu entsenden.
(3) Die Landesregierungen sind verpflichtet, auf Ersuchen der Reichsregierung
Mängel, die bei der Ausführung der Reichsgesetze hervorgetreten sind, zu
beseitigen. Bei Meinungsverschiedenheiten kann sowohl die Reichsregierung als
die Landesregierung die Entscheidung des Staatsgerichtshofs anrufen, falls nicht
durch Reichsgesetz ein anderes Gericht bestimmt ist.
Artikel 16
(1) Die mit der unmittelbaren Reichsverwaltung in den Ländern betrauten Beamten sollen in der Regel Landesangehörige sein. Die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Reichsverwaltung sind auf ihren Wunsch in ihren Heimatgebieten zu verwenden, soweit dies möglich ist und nicht Rücksichten auf ihre Ausbildung oder Erfordernisse des Dienstes entgegenstehen.
(1) Jedes Land muß eine freistaatliche Verfassung haben. Die Volksvertretung muß
in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von allen
reichsdeutschen Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl
gewählt werden. Die Landesregierung bedarf des Vertrauens der Volksvertretung.
(2) Die Grundsätze für die Wahlen zur Volksvertretung gelten auch für die
Gemeindewahlen. Jedoch kann durch Landesgesetz die Wahlberechtigung von der
Dauer des Aufenthalts in der Gemeinde bis zu einem Jahre abhängig gemacht
werden.
(1) Die Gliederung des Reichs in Länder soll unter möglichster Berücksichtigung
des Willens der beteiligten Bevölkerung der wirtschaftlichen und kulturellen
Höchstleistung des Volkes dienen. Die Änderung des Gebiets von Ländern und die
Neubildung von Ländern innerhalb des Reichs erfolgen durch verfassungsänderndes
Reichsgesetz.
(2) Stimmen die unmittelbar beteiligten Länder zu, so bedarf es nur eines
einfachen Reichsgesetzes.
(3) Ein einfaches Reichsgesetz genügt ferner, wenn eines der beteiligten Länder
nicht zustimmt, die Gebietsänderung oder Neubildung aber durch den Willen der
Bevölkerung gefordert wird und ein überwiegendes Reichsinteresse sie erheischt.
(4) Der Wille der Bevölkerung ist durch Abstimmung festzustellen. Die
Reichsregierung ordnet die Abstimmung an, wenn ein Drittel der zum Reichstag
wahlberechtigten Einwohner des abzutrennenden Gebiets es verlangt.
(5) Zum Beschluß einer Gebietsänderung oder Neubildung sind drei Fünftel der
abgegebenen Stimmen, mindestens aber die Stimmenmehrheit der Wahlberechtigten
erforderlich. Auch wenn es sich nur um Abtrennung eines Teiles eines preußischen
Regierungsbezirkes, eines bayerischen Kreises oder in anderen Ländern eines
entsprechenden Verwaltungsbezirkes handelt, ist der Wille der Bevölkerung des
ganzen in Betracht kommenden Bezirkes festzustellen. Wenn ein räumlicher
Zusammenhang des abzutrennenden Gebiets mit dem Gesamtbezirke nicht besteht,
kann auf Grund eines besonderen Reichsgesetzes der Wille der Bevölkerung des
abzutrennenden Gebiets als ausreichend erklärt werden.
(6) Nach Feststellung der Zustimmung der Bevölkerung hat die Reichsregierung dem
Reichstag ein entsprechendes Gesetz zur Beschlußfassung vorzulegen.
(7) Entsteht bei der Vereinigung oder Abtrennung Streit über die
Vermögensauseinandersetzung, so entscheidet hierüber auf Antrag einer Partei der
Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich.
Artikel 19
(1) Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht
zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher
Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dein Reiche und einem Lande
entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das
Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist.
(2) Der Reichspräsident vollstreckt das Urteil des Staatsgerichtshofs.
ZWEITER ABSCHNITT
Der Reichstag
Artikel 20
(1) Der Reichstag besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes.
Artikel 21
(1) Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.
Artikel 22
(1) Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer
Wahl von den über zwanzig Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen
der Verhältniswahl gewählt. Der Wahltag muß ein Sonntag oder öffentlicher
Ruhetag sein.
(2) Das Nähere bestimmt das Reichswahlgesetz.
Artikel 23
(1) Der Reichstag wird auf vier Jahre gewählt. Spätestens am sechzigsten Tage
nach ihrem Ablauf muß die Neuwahl stattfinden.
(2) Der Reichstag tritt zum ersten Male spätestens am dreißigsten Tage nach der
Wahl zusammen.
Artikel 24
(1) Der Reichstag tritt in jedem Jahre am ersten Mittwoch des November am Sitze
der Reichsregierung zusammen. Der Präsident des Reichstags muß ihn früher
berufen, wenn es der Reichspräsident oder mindestens ein Drittel der
Reichstagsmitglieder verlangt.
(2) Der Reichstag bestimmt den Schluß der Tagung und den Tag des
Wiederzusammentritts.
Artikel 25
(1) Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem
gleichen Anlaß.
(2) Die Neuwahl findet spätestens am sechzigsten Tage nach der Auflösung statt.
Artikel 26
(1) Der Reichstag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und seine Schriftführer. Er gibt sich seine Geschäftsordnung.
Artikel 27
(1) Zwischen zwei Tagungen oder Wahlperioden führen Präsident und Stellvertreter der letzten Tagung ihre Geschäfte fort.
Artikel 28
(1) Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Reichstagsgebäude aus. Ihm untersteht die Hausverwaltung; er verfügt über die Einnahmen und Ausgaben des Hauses nach Maßgabe des Reichshaushalts und vertritt das Reich in allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten seiner Verwaltung.
Artikel 29
(1) Der Reichstag verhandelt öffentlich. Auf Antrag von fünfzig Mitgliedern kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.
Artikel 30
(1) Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstags, eines Landtags oder ihrer Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.
Artikel 31
(1) Bei dem Reichstag wird ein Wahlprüfungsgericht gebildet. Es entscheidet auch
über die Frage, ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft verloren hat.
(2) Das Wahlprüfungsgericht besteht aus Mitgliedern des Reichstags, die dieser
für die Wahlperiode wählt, und aus Mitgliedern des Reichsverwaltungsgerichts,
die der Reichspräsident auf Vorschlag des Präsidiums dieses Gerichts bestellt.
(3) Das Wahlprüfungsgericht erkennt auf Grund öffentlicher mündlicher
Verhandlung durch drei Mitglieder des Reichstags und zwei richterliche
Mitglieder.
(4) Außerhalb der Verhandlungen vor dem Wahlprüfungsgerichte wird das Verfahren
von einem Reichsbeauftragten geführt, den der Reichspräsident ernennt. Im
übrigen wird das Verfahren von dem Wahlprüfungsgerichte geregelt.
Artikel 32
(1) Zu einem Beschlusse des Reichstags ist einfache Stimmenmehrheit
erforderlich, sofern die Verfassung kein anderes Stimmenverhältnis vorschreibt.
Für die vom Reichstag vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen
zulassen.
(2) Die Beschlußfähigkeit wird durch die Geschäftsordnung geregelt.
Artikel 33
(1) Der Reichstag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit des Reichskanzlers
und jedes Reichsministers verlangen.
(2) Der Reichskanzler, die Reichsminister und die von ihnen bestellten
Beauftragten haben zu den Sitzungen des Reichstags und seiner Ausschüsse
Zutritt. Die Länder sind berechtigt, in diese Sitzungen Bevollmächtigte zu
entsenden, die den Standpunkt ihrer Regierung zu dem Gegenstande der Verhandlung
darlegen.
(3) Auf ihr Verlangen müssen die Regierungsvertreter während der Beratung, die
Vertreter der Reichsregierung auch außerhalb der Tagesordnung gehört werden.
(4) Sie unterstehen der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden.
Artikel 34
(1) Der Reichstag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel seiner
Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse
erheben in öffentlicher Verhandlung die Beweise, die sie oder die Antragsteller
für erforderlich erachten. Die Öffentlichkeit kann vom Untersuchungsausschuß mit
Zweidrittelmehrheit ausgeschlossen werden. Die Geschäftsordnung regelt das
Verfahren des Ausschusses und bestimmt die Zahl seiner Mitglieder.
(2) Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser
Ausschüsse um Beweiserhebungen Folge zu leisten; die Akten der Behörden sind
ihnen auf Verlangen vorzulegen.
(3) Auf die Erhebungen der Ausschüsse und der von ihnen ersuchten Behörden
finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäße Anwendung, doch bleibt
das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis unberührt.
Artikel 35
(1) Der Reichstag bestellt einen ständigen Ausschuß für auswärtige
Angelegenheiten, der auch außerhalb der Tagung des Reichstags und nach der
Beendigung der Wahlperiode oder der Auflösung des Reichstags bis zum
Zusammentritte des neuen Reichstags tätig werden kann. Die Sitzungen dieses
Ausschusses sind nicht öffentlich, wenn nicht der Ausschuß mit
Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit beschließt.
(2) Der Reichstag bestellt ferner zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung
gegenüber der Reichsregierung für die Zeit außerhalb der Tagung und nach
Beendigung einer Wahlperiode einen ständigen Ausschuß.
[Neue Fassung des Absatzes 2 durch Reichsgesetz vom 15.12.1923 (RGBl. 1923 I,
S. 1185):
(2) Der Reichstag bestellt ferner zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung
gegenüber der Reichsregierung für die Zeit außerhalb der Tagung und nach
Beendigung einer Wahlperiode oder der Auflösung des Reichstags bis zum
Zusammentritt des neuen Reichstags einen ständigen Ausschuß.]
(3) Diese Ausschüsse haben die Rechte von Untersuchungsausschüssen.
Artikel 36
(1) Kein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags darf zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs getanen Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.
Artikel 37
(1) Kein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags kann ohne Genehmigung des
Hauses, dem der Abgeordnete angehört, während der Sitzungsperiode wegen einer
mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, es
sei denn, daß das Mitglied bei Ausübung der Tat oder spätestens im Laufe des
folgenden Tages festgenommen ist.
(2) Die gleiche Genehmigung ist bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen
Freiheit erforderlich, die die Ausübung des Abgeordnetenberufs beeinträchtigt.
(3) Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags
und jede Haft oder sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit wird auf
Verlangen des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, für die Dauer der
Sitzungsperiode aufgehoben.
Artikel 38
(1) Die Mitglieder des Reichstags und der Landtage sind berechtigt, über
Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordneten Tatsachen anvertrauen,
oder denen sie in Ausübung ihres Abgeordnetenberufs solche anvertraut haben,
sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Auch in Beziehung
auf Beschlagnahme von Schriftstücken stehen sie den Personen gleich, die ein
gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht haben.
(2) Eine Durchsuchung oder Beschlagnahme darf in den Räumen des Reichstags oder
eines Landtags nur mit Zustimmung des Präsidenten vorgenommen werden.
Artikel 39
(1) Beamte und Angehörige der Wehrmacht bedürfen zur Ausübung ihres Amtes als
Mitglieder des Reichstags oder eines Landtags keines Urlaubs.
(2) Bewerben sie sich um einen Sitz in diesen Körperschaften, so ist ihnen der
zur Vorbereitung ihrer Wahl erforderliche Urlaub zu gewähren.
Artikel 40
(1) Die Mitglieder des Reichstags erhalten das Recht zur freien Fahrt auf allen
deutschen Eisenbahnen sowie Entschädigung nach Maßgabe eines Reichsgesetzes.
[Artikel 40a eingefügt durch Gesetz zur Ergänzung der Reichsverfassung vom
22.05.1926 (RGBl. 1926 I, S. 243):
Artikel 40a
(1) Die Vorschriften der Artikel 36, 37, 38 Abs. 1 und 39 Abs. 1 gelten für den
Präsidenten des Reichstags, seine Stellvertreter und die ständigen und ersten
stellvertretenden Mitglieder der im Artikel 35 bezeichneten Ausschüsse auch für
die Zeit zwischen zwei Tagungen (Sitzungsperioden) oder Wahlperioden des
Reichstags.
(2) Das gleiche gilt für den Präsidenten eines Landtags, seine Stellvertreter
und die ständigen und ersten stellvertretenden Mitglieder von Ausschüssen eines
Landtags, wenn sie nach der Landesverfassung außerhalb der Tagung
(Sitzungsperiode) oder Wahlperiode tätig werden können.
(3) Soweit Artikel 37 eine Mitwirkung des Reichstags oder eines Landtags
vorsieht, tritt der Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung an die
Stelle des Reichstags und, falls Ausschüsse des Landtags fortbestehen, der vom
Landtag bestimmte Ausschuß an die Stelle des Landtags.
(4) Die im Abs. 1 bezeichneten Personen haben zwischen zwei Wahlperioden die im
Artikel 40 bezeichneten Rechte.]
DRITTER ABSCHNITT
Der Reichspräsident und die Reichsregierung
Artikel 41
(1) Der Reichspräsident wird vom ganzen deutschen Volke gewählt.
(2) Wählbar ist jeder Deutsche, der das fünfunddreißigste Lebensjahr vollendet
hat.
(3) Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
Artikel 42
(1) Der Reichspräsident leistet bei der Übernahme seines Amtes vor dem Reichstag
folgenden Eid:
(2) Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen,
seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die Verfassung und die Gesetze des
Reichs wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen
jedermann üben werde.
(3) Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig.
Artikel 43
(1) Das Amt des Reichspräsidenten dauert sieben Jahre. Wiederwahl ist zulässig.
(2) Vor Ablauf der Frist kann der Reichspräsident auf Antrag des Reichstags
durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Der Beschluß des Reichstags erfordert
Zweidrittelmehrheit. Durch den Beschluß ist der Reichspräsident an der ferneren
Ausübung des Amtes verhindert. Die Ablehnung der Absetzung durch die
Volksabstimmung gilt als neue Wahl und hat die Auflösung des Reichstags zur
Folge.
(3) Der Reichspräsident kann ohne Zustimmung des Reichstags nicht strafrechtlich
verfolgt werden.
Artikel 44
(1) Der Reichspräsident kann nicht zugleich Mitglied des Reichstags sein.
Artikel 45
(1) Der Reichspräsident vertritt das Reich völkerrechtlich. Er schließt im Namen
des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten. Er beglaubigt
und empfängt die Gesandten.
(2) Kriegserklärung und Friedensschluß erfolgen durch Reichsgesetz.
(3) Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der
Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Reichstags.
Artikel 46
(1) Der Reichspräsident ernennt und entläßt die Reichsbeamten und die Offiziere, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Er kann das Ernennungs- und Entlassungsrecht durch andere Behörden ausüben lassen.
Artikel 47
(1) Der Reichspräsident hat den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reichs.
Artikel 48
(1) Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen
obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe
der bewaffneten Macht anhalten.
(2) Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche
Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur
Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen
treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu
diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114,
115,
117,
118,
123,
124
und 153
festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.
(3) Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat
der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen
sind auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu setzen.
(4) Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige
Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf
Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstags außer Kraft zu setzen.
(5) Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
Artikel 49
(1) Der Reichspräsident übt für das Reich das Begnadigungsrecht aus.
(2) Reichsamnestien bedürfen eines Reichsgesetzes.
Artikel 50
(1) Alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten, auch solche auf dem Gebiete der Wehrmacht, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister. Durch die Gegenzeichnung wird die Verantwortung übernommen.
Artikel 51
(1) Der Reichspräsident wird im Falle seiner Verhinderung durch den
Reichskanzler vertreten. Dauert die Verhinderung voraussichtlich längere Zeit,
so ist die Vertretung durch ein Reichsgesetz zu regeln.
[Neue Fassung des Absatzes 1 durch Reichsgesetz zur Änderung der
Reichsverfassung vom 17.12.1931 (RGBl. 1932 I, S. 547):
(1) Der Reichspräsident wird im Falle seiner Verhinderung durch den Präsidenten
des Reichsgerichts vertreten.]
(2) Das gleiche gilt für den Fall einer vorzeitigen Erledigung der
Präsidentschaft bis zur Durchführung der neuen Wahl.
Artikel 52
(1) Die Reichsregierung besteht aus dem Reichskanzler und den Reichsministern.
Artikel 53
(1) Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen.
Artikel 54
(1) Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht.
Artikel 55
(1) Der Reichskanzler führt den Vorsitz in der Reichsregierung und leitet ihre Geschäfte nach einer Geschäftsordnung, die von der Reichsregierung beschlossen und vom Reichspräsidenten genehmigt wird.
Artikel 56
(1) Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.
Artikel 57
(1) Die Reichsminister haben der Reichsregierung alle Gesetzentwürfe, ferner Angelegenheiten, für welche Verfassung oder Gesetz dieses vorschreiben, sowie Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich mehrerer Reichsminister berühren, zur Beratung und Beschlußfassung zu unterbreiten.
Artikel 58
(1) Die Reichsregierung faßt ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
Artikel 59
(1) Der Reichstag ist berechtigt, den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und die Reichsminister vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich anzuklagen, daß sie schuldhafterweise die Reichsverfassung oder ein Reichsgesetz verletzt haben. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens hundert Mitgliedern des Reichstags unterzeichnet sein und bedarf der Zustimmung der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheit. Das Nähere regelt das Reichsgesetz über den Staatsgerichtshof.
VIERTER ABSCHNITT
Der Reichsrat
Artikel 60
(1) Zur Vertretung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs wird ein Reichsrat gebildet.
Artikel 61
(1) Im Reichsrat hat jedes Land mindestens eine Stimme. Bei den größeren Ländern
entfällt auf eine Million Einwohner eine Stimme. Ein Überschuß, der mindestens
der Einwohnerzahl des kleinsten Landes gleichkommt, wird einer vollen Million
gleichgerechnet 39. Kein Land darf durch mehr als zwei Fünftel aller Stimmen
vertreten sein.
[Neue Fassung des Absatzes 1 durch
Reichsgesetz über die Vertretung der
Länder im Reichsrat vom 24.03.1921
(RGBl. 1921, S. 440):
(1) Im Reichsrat hat jedes Land mindestens eine Stimme. Bei den größeren Ländern
entfällt auf 700000 Einwohner eine Stimme. Ein Überschuß von mindestens 350000
Einwohnern wird 700000 gleichgerechnet. Kein Land darf durch mehr als zwei
Fünftel aller Stimmen vertreten sein.]
(2) Deutschösterreich erhält nach seinem Anschluß an das Deutsche Reich das
Recht der Teilnahme am Reichsrat mit der seiner Bevölkerung entsprechenden
Stimmenzahl. Bis dahin haben die Vertreter Deutschösterreichs beratende Stimme.
(3) Die Stimmenzahl wird durch den Reichsrat nach jeder allgemeinen Volkszählung
neu festgesetzt.
Artikel 62
(1) In den Ausschüssen, die der Reichsrat aus seiner Mitte bildet, führt kein Land mehr als eine Stimme.
(1) Die Länder werden im Reichsrat durch Mitglieder ihrer Regierungen vertreten.
Jedoch wird die Hälfte der preußischen Stimmen nach Maßgabe eines Landesgesetzes
von den preußischen Provinzialverwaltungen bestellt.
(2) Die Länder sind berechtigt, so viele Vertreter in den Reichsrat zu
entsenden, wie sie Stimmen führen.
Artikel 64
(1) Die Reichsregierung muß den Reichsrat auf Verlangen von einem Drittel seiner Mitglieder einberufen.
Artikel 65
(1) Den Vorsitz im Reichsrat und in seinen Ausschüssen führt ein Mitglied der Reichsregierung. Die Mitglieder der Reichsregierung haben das Recht und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Reichsrats und seiner Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen während der Beratung auf Verlangen jederzeit gehört werden.
Artikel 66
(1) Die Reichsregierung sowie jedes Mitglied des Reichsrats sind befugt, im
Reichsrat Anträge zu stellen.
(2) Der Reichsrat regelt seinen Geschäftsgang durch eine Geschäftsordnung.
(3) Die Vollsitzungen des Reichsrats sind öffentlich. Nach Maßgabe der
Geschäftsordnung kann die Öffentlichkeit für einzelne Beratungsgegenstände
ausgeschlossen werden.
(4) Bei der Abstimmung entscheidet die einfache Mehrheit der Abstimmenden.
Artikel 67
(1) Der Reichsrat ist von den Reichsministerien über die Führung der Reichsgeschäfte auf dem Laufenden zu halten. Zu Beratungen über wichtige Gegenstände sollen von den Reichsministerien die zuständigen Ausschüsse des Reichsrats zugezogen werden.
FÜNFTER ABSCHNITT
Die Reichsgesetzgebung
Artikel 68
(1) Die Gesetzesvorlagen werden von der Reichsregierung oder aus der Mitte des
Reichstags eingebracht.
(2) Die Reichsgesetze werden vom Reichstag beschlossen.
Artikel 69
(1) Die Einbringung von Gesetzesvorlagen der Reichsregierung bedarf der
Zustimmung des Reichsrats. Kommt eine Übereinstimmung zwischen der
Reichsregierung und dem Reichsrat nicht zustande, so kann die Reichsregierung
die Vorlage gleichwohl einbringen, hat aber hierbei die abweichende Auffassung
des Reichsrats darzulegen.
(2) Beschließt der Reichsrat eine Gesetzesvorlage, welcher die Reichsregierung
nicht zustimmt, so hat diese die Vorlage unter Darlegung ihres Standpunkts beim
Reichstag einzubringen.
Artikel 70
(1) Der Reichspräsident hat die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und binnen Monatsfrist im Reichs-Gesetzblatt zu verkünden.
Artikel 71
(1) Reichsgesetze treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Reichs-Gesetzblatt in der Reichshauptstadt ausgegeben worden ist.
Artikel 72
(1) Die Verkündung eines Reichsgesetzes ist um zwei Monate auszusetzen, wenn es ein Drittel des Reichstags verlangt. Gesetze, die der Reichstag und der Reichsrat für dringlich erklären, kann der Reichspräsident ungeachtet dieses Verlangens verkünden.
Artikel 73
(1) Ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz ist vor seiner Verkündung zum
Volksentscheid zu bringen, wenn der Reichspräsident binnen eines Monats es
bestimmt.
(2) Ein Gesetz, dessen Verkündung auf Antrag von mindestens einem Drittel des
Reichstags ausgesetzt ist, ist dem Volksentscheid zu unterbreiten, wenn ein
Zwanzigstel der Stimmberechtigten es beantragt.
(3) Ein Volksentscheid ist ferner herbeizuführen, wenn ein Zehntel der
Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Dem
Volksbegehren muß ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen. Er ist von
der Regierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstag zu unterbreiten.
Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im
Reichstag unverändert angenommen worden ist.
(4) Über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen kann nur
der Reichspräsident einen Volksentscheid veranlassen.
(5) Das Verfahren beim Volksentscheid und beim Volksbegehren regelt ein
Reichsgesetz.
(1) Gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze steht dem Reichsrat der
Einspruch zu.
(2) Der Einspruch muß innerhalb zweier Wochen nach der Schlußabstimmung im
Reichstag bei der Reichsregierung eingebracht und spätestens binnen zwei
weiteren Wochen mit Gründen versehen werden.
(3) Im Falle des Einspruchs wird das Gesetz dem Reichstag zur nochmaligen
Beschlußfassung vorgelegt. Kommt hierbei keine Übereinstimmung zwischen
Reichstag und Reichsrat zustande, so kann der Reichspräsident binnen drei
Monaten über den Gegenstand der Meinungsverschiedenheit einen Volksentscheid
anordnen. Macht der Präsident von diesem Rechte keinen Gebrauch, so gilt das
Gesetz als nicht zustande gekommen. Hat der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit
entgegen dem Einspruch des Reichsrats beschlossen, so hat der Präsident das
Gesetz binnen drei Monaten in der vom Reichstag beschlossenen Fassung zu
verkünden oder einen Volksentscheid anzuordnen.
Artikel 75
(1) Durch den Volksentscheid kann ein Beschluß des Reichstags nur dann außer Kraft gesetzt werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt.
Artikel 76
(1) Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen
Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei
Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei
Drittel der Anwesenden zustimmen. Auch Beschlüsse des Reichsrats auf Abänderung
der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen
Stimmen. Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung
beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten
erforderlich.
(2) Hat der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrats eine
Verfassungsänderung beschlossen, so darf der Reichspräsident dieses Gesetz nicht
verkünden, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangt.
Artikel 77
(1) Die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften erläßt, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, die Reichsregierung. Sie bedarf dazu der Zustimmung des Reichsrats, wenn die Ausführung der Reichsgesetze den Landesbehörden zusteht.
SECHSTER ABSCHNITT
Die Reichsverwaltung
Artikel 78
(1) Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten ist ausschließlich
Sache des Reichs.
(2) In Angelegenheiten, deren Regelung der Landesgesetzgebung zusteht, können
die Länder mit auswärtigen Staaten Verträge schließen; die Verträge bedürfen der
Zustimmung des Reichs.
(3) Vereinbarungen mit fremden Staaten über Veränderung der Reichsgrenzen werden
nach Zustimmung des beteiligten Landes durch das Reich abgeschlossen. Die
Grenzveränderungen dürfen nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen, soweit es
sich nicht um bloße Berichtigung der Grenzen unbewohnter Gebietsteile handelt.
(4) Um die Vertretung der Interessen zu gewährleisten, die sich für einzelne
Länder aus ihren besonderen wirtschaftlichen Beziehungen oder ihrer benachbarten
Lage zu auswärtigen Staaten ergeben, trifft das Reich im Einvernehmen mit den
beteiligten Ländern die erforderlichen Einrichtungen und Maßnahmen.
Artikel 79
(1) Die Verteidigung des Reichs ist Reichssache. Die Wehrverfassung des deutschen Volkes wird unter Berücksichtigung der besonderen landsmannschaftlichen Eigenarten durch ein Reichsgesetz einheitlich geregelt.
Artikel 80
(1) Das Kolonialwesen ist ausschließlich Sache des Reichs.
Artikel 81
(1) Alle deutschen Kauffahrteischiffe bilden eine einheitliche Handelsflotte.
Artikel 82
(1) Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von einer
gemeinschaftlichen Zollgrenze.
(2) Die Zollgrenze fällt mit der Grenze gegen das Ausland zusammen. An der See
bildet das Gestade des Festlandes und der zum Reichsgebiet gehörigen Inseln die
Zollgrenze. Für den Lauf der Zollgrenze an der See und an anderen Gewässern
können Abweichungen bestimmt werden.
(3) Fremde Staatsgebiete oder Gebietsteile können durch Staatsverträge oder
Übereinkommen dem Zollgebiete angeschlossen werden.
(4) Aus dem Zollgebiete können nach besonderem Erfordernis Teile ausgeschlossen
werden. Für Freihäfen kann der Ausschluß nur durch ein verfassungsänderndes
Gesetz aufgehoben werden.
(5) Zollausschlüsse können durch Staatsverträge oder Übereinkommen einem fremden
Zollgebiet angeschlossen werden.
(6) Alle Erzeugnisse der Natur sowie des Gewerbe- und Kunstfleißes, die sich im
freien Verkehre des Reichs befinden, dürfen über die Grenze der Länder und
Gemeinden ein-, aus- oder durchgeführt werden. Ausnahmen sind auf Grund eines
Reichsgesetzes zulässig.
(1) Die Zölle und Verbrauchssteuern werden durch Reichsbehörden verwaltet.
(2) Bei der Verwaltung von Reichsabgaben durch Reichsbehörden sind Einrichtungen
vorzusehen, die den Ländern die Wahrung besonderer Landesinteressen auf dem
Gebiete der Landwirtschaft, des Handels, des Gewerbes und der Industrie
ermöglichen.
Artikel 84
(1) Das Reich trifft durch Gesetz die Vorschriften über:
1. die Einrichtung der Abgabenverwaltung der Länder, soweit es die einheitliche und gleichmäßige Durchführung der Reichsabgabengesetze erfordert;
2. die Einrichtung und Befugnisse der mit der Beaufsichtigung der Ausführung der Reichsabgabengesetze betrauten Behörden;
3. die Abrechnung mit den Ländern;
4. die Vergütung der Verwaltungskosten bei Ausführung der Reichsabgabengesetze.
Artikel 85
(1) Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Rechnungsjahr
veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden.
(2) Der Haushaltsplan wird vor Beginn des Rechnungsjahrs durch ein Gesetz
festgestellt.
(3) Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt; sie können in
besonderen Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt werden. Im übrigen sind
Vorschriften im Reichshaushaltsgesetz unzulässig, die über das Rechnungsjahr
hinausreichen oder sich nicht auf die Einnahmen und Ausgaben des Reichs oder
ihre Verwaltung beziehen.
(4) Der Reichstag kann im Entwurfe des Haushaltsplans ohne Zustimmung des
Reichsrats Ausgaben nicht erhöhen oder neu einsetzen.
(5) Die Zustimmung des Reichsrats kann gemäß den Vorschriften des Artikel
74
ersetzt werden.
Artikel 86
(1) Über die Verwendung aller Reichseinnahmen legt der Reichsfinanzminister in dem folgenden Rechnungsjahre zur Entlastung der Reichsregierung dem Reichsrat und dem Reichstag Rechnung. Die Rechnungsprüfung wird durch Reichsgesetz geregelt.
Artikel 87
(1) Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer Sicherheitsleistung zu Lasten des Reichs dürfen nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen.
Artikel 88
(1) Das Post- und Telegraphenwesen samt dem Fernsprechwesen ist ausschließlich
Sache des Reichs.
(2) Die Postwertzeichen sind für das ganze Reich einheitlich.
(3) Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die Verordnungen
welche Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Verkehrseinrichtungen
festsetzen. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats auf den
Reichspostminister übertragen.
(4) Zur beratenden Mitwirkung in Angelegenheiten des Post-, Telegraphen- und
Fernsprechverkehrs und der Tarife errichtet die Reichsregierung mit Zustimmung
des Reichsrats einen Beirat.
(5) Verträge über den Verkehr mit dem Ausland schließt allein das Reich.
[Die Absätze 2 und 3 wurden durch den §15 Abs. 2 des Reichspostfinanzgesetzes
vom 18.03.1924 gestrichen (RGBl. 1924 I, S. 287). Durch das Gesetz wurde das
selbständige Unternehmen "Deutsche Reichspost" geschaffen.]
Artikel 89
(1) Aufgabe des Reichs ist es, die dem allgemeinen Verkehre dienenden
Eisenbahnen in sein Eigentum zu übernehmen und als einheitliche Verkehrsanstalt
zu verwalten.
(2) Die Rechte der Länder, Privateisenbahnen zu erwerben, sind auf Verlangen dem
Reiche zu übertragen.
Artikel 90
(1) Mit dem Übergang der Eisenbahnen übernimmt das Reich die Enteignungsbefugnis und die staatlichen Hoheitsrechte, die sich auf das Eisenbahnwesen beziehen. Über den Umfang dieser Rechte entscheidet im Streitfall der Staatsgerichtshof.
Artikel 91
(1) Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die Verordnungen, die den Bau, den Betrieb und den Verkehr der Eisenbahnen regeln. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats auf den zuständigen Reichsminister übertragen.
Artikel 92
(1) Die Reichseisenbahnen sind, ungeachtet der Eingliederung ihres Haushalts und ihrer Rechnung in den allgemeinen Haushalt und die allgemeine Rechnung des Reichs, als ein selbständiges wirtschaftliches Unternehmen zu verwalten, das seine Ausgaben einschließlich Verzinsung und Tilgung der Eisenbahnschuld selbst zu bestreiten und eine Eisenbahnrücklage anzusammeln hat. Die Höhe der Tilgung und der Rücklage sowie die Verwendungszwecke der Rücklage sind durch besonderes Gesetz zu regeln.
Artikel 93
(1) Zur beratenden Mitwirkung in Angelegenheiten des Eisenbahnverkehrs und der Tarife errichtet die Reichsregierung für die Reichseisenbahnen mit Zustimmung des Reichsrats Beiräte.
Artikel 94
(1) Hat das Reich die dem allgemeinen Verkehre dienenden Eisenbahnen eines
bestimmten Gebiets in seine Verwaltung übernommen, so können innerhalb dieses
Gebiets neue, dem allgemeinen Verkehre dienende Eisenbahnen nur vom Reiche oder
mit seiner Zustimmung gebaut werden. Berührt der Bau neuer oder die Veränderung
bestehender Reichseisenbahnanlagen den Geschäftsbereich der Landespolizei, so
hat die Reichseisenbahnverwaltung vor der Entscheidung die Landesbehörden
anzuhören.
(2) Wo das Reich die Eisenbahnen noch nicht in seine Verwaltung übernommen hat,
kann es für den allgemeinen Verkehr oder die Landesverteidigung als notwendig
erachtete Eisenbahnen kraft Reichsgesetzes auch gegen den Widerspruch der
Länder, deren Gebiet durchschnitten wird, jedoch unbeschadet der
Landeshoheitsrechte, für eigene Rechnung anlegen oder den Bau einem anderen zur
Ausführung überlassen, nötigenfalls unter Verleihung des Enteignungsrechts.
(3) Jede Eisenbahnverwaltung muß sich den Anschluß anderer Bahnen auf deren
Kosten gefallen lassen.
Artikel 95
(1) Eisenbahnen des allgemeinen Verkehrs, die nicht vom Reiche verwaltet werden,
unterliegen der Beaufsichtigung durch das Reich.
(2) Die der Reichsaufsicht unterliegenden Eisenbahnen sind nach den gleichen vom
Reiche festgesetzten Grundsätzen anzulegen und auszurüsten. Sie sind in
betriebssicherem Zustand zu erhalten und entsprechend den Anforderungen des
Verkehrs auszubauen. Personen- und Güterverkehr sind in Übereinstimmung mit dem
Bedürfnis zu bedienen und auszugestalten.
(3) Bei der Beaufsichtigung des Tarifwesens ist auf gleichmäßige und niedrige
Eisenbahntarife hinzuwirken.
Artikel 96
(1) Alle Eisenbahnen, auch die nicht dem allgemeinen Verkehre dienenden, haben den Anforderungen des Reichs auf Benutzung der Eisenbahnen zum Zwecke der Landesverteidigung Folge zu leisten.
Artikel 97
(1) Aufgabe des Reichs ist es, die dem allgemeinen Verkehre dienenden
Wasserstraßen in sein Eigentum und seine Verwaltung zu übernehmen.
(2) Nach der Übernahme können dem allgemeinen Verkehre dienende Wasserstraßen
nur noch vom Reiche oder mit seiner Zustimmung angelegt oder ausgebaut werden.
(3) Bei der Verwaltung, dem Ausbau oder dem Neubau von Wasserstraßen sind die
Bedürfnisse der Landeskultur und der Wasserwirtschaft im Einvernehmen mit den
Ländern zu wahren. Auch ist auf deren Förderung Rücksicht zu nehmen.
(4) Jede Wasserstraßenverwaltung hat sich den Anschluß anderer
Binnenwasserstraßen auf Kosten der Unternehmer gefallen zu lassen. Die gleiche
Verpflichtung besteht für die Herstellung einer Verbindung zwischen
Binnenwasserstraßen und Eisenbahnen.
(5) Mit dem Übergange der Wasserstraßen erhält das Reich die
Enteignungsbefugnis, die Tarifhoheit sowie die Strom- und Schiffahrtspolizei.
(6) Die Aufgaben der Strombauverbände in bezug auf den Ausbau natürlicher
Wasserstraßen im Rhein-, Weser- und Elbgebiet sind auf das Reich zu übernehmen.
Artikel 98
(1) Zur Mitwirkung in Angelegenheiten der Wasserstraßen werden bei den Reichswasserstraßen nach näherer Anordnung der Reichsregierung unter Zustimmung des Reichsrats Beiräte gebildet.
Artikel 99
(1) Auf natürlichen Wasserstraßen dürfen Abgaben nur für solche Werke,
Einrichtungen und sonstige Anstalten erhoben werden, die zur Erleichterung des
Verkehrs bestimmt sind. Sie dürfen bei staatlichen und kommunalen Anstalten die
zur Herstellung und Unterhaltung erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Die
Herstellungs- und Unterhaltungskosten für Anstalten, die nicht ausschließlich
zur Erleichterung des Verkehrs, sondern auch zur Förderung anderer Zwecke
bestimmt sind, dürfen nur zu einem verhältnismäßigen Anteil durch
Schiffahrtsabgaben aufgebracht werden. Als Herstellungskosten gelten die Zinsen
und Tilgungsbeträge für die aufgewandten Mittel.
(2) Die Vorschriften des vorstehenden Absatzes finden Anwendung auf die Abgaben,
die für künstliche Wasserstraßen sowie für Anstalten an solchen und in Häfen
erhoben werden.
(3) Im Bereiche der Binnenschiffahrt können für die Bemessung der
Befahrungsabgaben die Gesamtkosten einer Wasserstraße, eines Stromgebiets oder
eines Wasserstraßennetzes zugrunde gelegt werden.
(4) Diese Bestimmungen gelten auch für die Flößerei auf schiffbaren
Wasserstraßen.
(5)Auf fremde Schiffe und deren Ladungen andere oder höhere Abgaben zu legen als
auf deutsche Schiffe und deren Ladungen, steht nur dem Reiche zu.
(6)Zur Beschaffung von Mitteln für die Unterhaltung und den Ausbau des deutschen
Wasserstraßennetzes kann das Reich die Schiffahrtsbeteiligten auch auf andere
Weise durch Gesetz zu Beiträgen heranziehen.
Artikel 100
(1) Zur Deckung der Kosten für Unterhaltung und Bau von Binnenschiffahrtswegen kann durch ein Reichsgesetz auch herangezogen werden, wer aus dem Bau von Talsperren in anderer Weise als durch Befahrung Nutzen zieht, sofern mehrere Länder beteiligt sind oder das Reich die Kosten der Anlage trägt.
Artikel 101
(1) Aufgabe des Reichs ist es, alle Seezeichen, insbesondere Leuchtfeuer, Feuerschiffe, Bojen, Tonnen und Baken in sein Eigentum und seine Verwaltung zu übernehmen. Nach der Übernahme können Seezeichen nur noch vom Reiche oder mit seiner Zustimmung hergestellt oder ausgebaut werden.
SIEBENTER ABSCHNITT
Die Rechtspflege
Artikel 102
(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.
Artikel 103
(1) Die ordentliche Gerichtsbarkeit wird durch das Reichsgericht und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.
Artikel 104
(1) Die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit werden auf Lebenszeit ernannt.
Sie können wider ihrer Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus
den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, dauernd oder
zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand
versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren
Erreichung Richter in den Ruhestand treten.
(2) Die vorläufige Amtsenthebung, die kraft Gesetzes eintritt, wird hierdurch
nicht berührt.
(3) Bei einer Veränderung in der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke
kann die Landesjustizverwaltung unfreiwillige Versetzungen an ein anderes
Gericht oder Entfernungen vom Amte, jedoch nur unter Belassung des vollen
Gehalts, verfügen.
(4) Auf
Handelsrichter, Schöffen und Geschworene finden diese Bestimmungen keine
Anwendung.
Artikel 105
(1) Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standgerichte werden hiervon nicht berührt. Die militärischen Ehrengerichte sind aufgehoben.
Artikel 106
(1) Die Militärgerichtsbarkeit ist aufzuheben, außer für Kriegszeiten und an Bord der Kriegsschiffe. Das Nähere regelt ein Reichsgesetz.
Artikel 107
(1) Im Reiche und in den Ländern müssen nach Maßgabe der Gesetze Verwaltungsgerichte zum Schutze der einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen.
Artikel 108
(1) Nach Maßgabe eines Reichsgesetzes wird ein Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich errichtet.
ZWEITER HAUPTTEIL
Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen
ERSTER ABSCHNITT
Die Einzelperson
(1) Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben
grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
(2) Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes
sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen
nicht mehr verliehen werden.
(3) Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf
bezeichnen; akademische Grade sind hierdurch nicht betroffen.
(4) Orden und Ehrenzeichen dürfen vom Staat nicht verliehen werden.
(5) Kein Deutscher darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden
annehmen.
Artikel 110
(1) Die Staatsangehörigkeit im Reiche und in den Ländern wird nach den
Bestimmungen eines Reichsgesetzes erworben und verloren. Jeder Angehörige eines
Landes ist zugleich Reichsangehöriger.
(2) Jeder Deutsche hat in jedem Lande des Reichs die gleichen Rechte und
Pflichten wie die Angehörigen des Landes selbst.
Artikel 111
(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Reiche. Jeder hat das Recht, sich an beliebigem Orte des Reichs aufzuhalten und niederzulassen, Grundstücke zu erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben. Einschränkungen bedürfen eines Reichsgesetzes.
Artikel 112
(1) Jeder Deutsche ist berechtigt, nach außerdeutschen Ländern auszuwandern. Die
Auswanderung kann nur durch Reichsgesetz beschränkt werden.
(2) Dem Ausland gegenüber haben alle Reichsangehörigen inner- und außerhalb des
Reichsgebiets Anspruch auf den Schutz des Reichs.
(3) Kein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder
Bestrafung überliefert werden.
Artikel 113
(1) Die fremdsprachigen Volksteile des Reichs dürfen durch die Gesetzgebung und Verwaltung nicht in ihrer freien, volkstümlichen Entwicklung, besonders nicht im Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht, sowie bei der inneren Verwaltung und der Rechtspflege beeinträchtigt werden.
(1) Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder
Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf
Grund von Gesetzen zulässig.
(2) Personen, denen die Freiheit entzogen wird, sind spätestens am
darauffolgenden Tage in Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus welchen
Gründen die Entziehung der Freiheit angeordnet worden ist; unverzüglich soll
ihnen Gelegenheit gegeben werden, Einwendungen gegen ihre Freiheitsentziehung
vorzubringen.
(1) Die Wohnung jedes Deutschen ist für ihn eine Freistätte und unverletzlich. Ausnahmen sind nur auf Grund von Gesetzen zulässig.
Artikel 116
(1) Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.
(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Ausnahmen können nur durch Reichsgesetz zugelassen werden.
(1) Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen
Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise
frei zu äußern. An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder
Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von
diesem Rechte Gebrauch macht.
(2) Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch Gesetz
abweichende Bestimmungen getroffen werden. Auch sind zur Bekämpfung der Schund-
und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend bei öffentlichen
Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig.
ZWEITER ABSCHNITT
Das Gemeinschaftsleben
Artikel 119
(1) Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und
Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf
der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.
(2) Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe
des Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf
ausgleichende Fürsorge.
(3) Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats.
Artikel 120
(1) Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht.
Artikel 121
(1) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Artikel 122
(1) Die Jugend ist gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige oder
körperliche Verwahrlosung zu schützen. Staat und Gemeinde haben die
erforderlichen Einrichtungen zu treffen.
(2) Fürsorgemaßregeln im Wege des Zwanges können nur auf Grund des Gesetzes
angeordnet werden.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis
friedlich und unbewaffnet zu versammeln.
(2) Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig
gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten
werden.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht
zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dies Recht kann nicht
durch Vorbeugungsmaßregeln beschränkt werden. Für religiöse Vereine und
Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen.
(2) Der Erwerb der Rechtsfähigkeit steht jedem Verein gemäß den Vorschriften des
bürgerlichen Rechts frei. Er darf einem Vereine nicht aus dem Grunde versagt
werden, daß er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck
verfolgt.
Artikel 125
(1) Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind gewährleistet. Das Nähere bestimmen die Wahlgesetze.
Artikel 126
(1) Jeder Deutsche hat das Recht, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständige Behörde oder an die Volksvertretung zu wenden. Dieses Recht kann sowohl von einzelnen als auch von mehreren gemeinsam ausgeübt werden.
Artikel 127
(1) Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze.
Artikel 128
(1) Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der Gesetze und
entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen Ämtern
zuzulassen.
(2) Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.
(3) Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses sind durch Reichsgesetz zu regeln.
Artikel 129
(1) Die Anstellung der Beamten erfolgt auf Lebenszeit, soweit nicht durch Gesetz
etwas anderes bestimmt ist. Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung werden
gesetzlich geregelt. Die wohlerworbenen Rechte der Beamten sind unverletzlich.
Für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten steht der Rechtsweg offen.
(2) Die Beamten können nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen und
Formen vorläufig ihres Amtes enthoben, einstweilen oder endgültig in den
Ruhestand oder in ein anderes Amt mit geringerem Gehalt versetzt werden.
(3) Gegen jedes dienstliche Straferkenntnis muß ein Beschwerdeweg und die Möglichkeit
eines Wiederaufnahmeverfahrens eröffnet sein. In die Nachweise über die Person
des Beamten sind Eintragungen von ihm ungünstigen Tatsachen erst vorzunehmen,
wenn dem Beamten Gelegenheit gegeben war, sich über sie zu äußern. Dem Beamten
ist Einsicht in seine Personalnachweise zu gewähren.
(4) Die Unverletzlichkeit der wohlerworbenen Rechte und die Offenhaltung des
Rechtswegs für die vermögensrechtlichen Ansprüche werden besonders auch den
Berufssoldaten gewährleistet. Im übrigen wird ihre Stellung durch Reichsgesetz
geregelt.
Artikel 130
(1) Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei.
(2) Allen Beamten wird die Freiheit ihrer politischen Gesinnung und die
Vereinigungsfreiheit gewährleistet.
(3) Die Beamten erhalten nach näherer reichsgesetzlicher Bestimmung besondere
Beamtenvertretungen.
Artikel 131
(1) Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt
die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die
Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren
Dienste der Beamte steht. Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt vorbehalten.
Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden.
(2) Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob.
Artikel 132
(1) Jeder Deutsche hat nach Maßgabe der Gesetze die Pflicht zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten.
Artikel 133
(1) Alle Staatsbürger sind verpflichtet, nach Maßgabe der Gesetze persönliche
Dienste für den Staat und die Gemeinde zu leisten.
(2) Die Wehrpflicht richtet sich nach den Bestimmungen des Reichswehrgesetzes.
Dieses bestimmt auch, wieweit für Angehörige der Wehrmacht zur Erfüllung ihrer
Aufgaben und zur Erhaltung der Manneszucht einzelne Grundrechte einzuschränken
sind.
Artikel 134
(1) Alle Staatsbürger ohne Unterschied tragen im Verhältnis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze bei.
DRITTER ABSCHNITT
Religion und Religionsgesellschaften
Artikel 135
(1) Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.
Artikel 136
(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch
die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
(2) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu
öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.
(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die
Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer
Religionsgesellschaft zu fragen als davon Rechte und Pflichten abhängen oder
eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
(4) Niemand
darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an
religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen
werden.
Artikel 137
(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet.
Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets
unterliegt keinen Beschränkungen.
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten
selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie
verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen
Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.
(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes,
soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren
Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl
ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige
öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist
auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes
sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der
landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die
sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert,
liegt diese der Landesgesetzgebung ob.
(1) Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden
Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die
Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.
(2) Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen
Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten
Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.
Artikel 139
(1) Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.
Artikel 140
(1) Den Angehörigen der Wehrmacht ist die nötige freie Zeit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu gewähren.
Artikel 141
(1) Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.
VIERTER ABSCHNITT
Bildung und Schule
Artikel 142
(1) Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.
Artikel 143
(1) Für die Bildung der Jugend ist durch öffentliche Anstalten zu sorgen. Bei
ihrer Einrichtung wirken Reich, Länder und Gemeinden zusammen.
(2) Die Lehrerbildung ist nach den Grundsätzen, die für die höhere Bildung
allgemein gelten, für das Reich einheitlich zu regeln.
(3) Die Lehrer an öffentlichen Schulen haben die Rechte und Pflichten der
Staatsbeamten.
Artikel 144
(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates; er kann die Gemeinden daran beteiligen. Die Schulaufsicht wird durch hauptamtlich tätige, fachmännisch vorgebildete Beamte ausgeübt.
Artikel 145
(1) Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre. Der Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und Fortbildungsschulen sind unentgeltlich.
(1) Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten. Auf einer für alle
gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf. Für
diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Aufnahme eines
Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die
wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis
seiner Eltern maßgebend.
(2) Innerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten
Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit
hierdurch ein geordneter Schulbetrieb, auch im Sinne des Abs. 1, nicht
beeinträchtigt wird. Der Wille der Erziehungsberechtigten ist möglichst zu
berücksichtigen. Das Nähere bestimmt die Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen
eines Reichsgesetzes.
(3) Für den Zugang Minderbemittelter zu den mittleren und höheren Schulen sind
durch Reich, Länder und Gemeinden öffentliche Mittel bereitzustellen,
insbesondere Erziehungsbeihilfen für die Eltern von Kindern, die zur Ausbildung
auf mittleren und höheren Schulen für geeignet erachtet werden, bis zur
Beendigung der Ausbildung.
Artikel 147
(1) Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung
des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen,
wenn die Privatschulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der
wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen
Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen
der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die
wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert
ist.
(2) Private Volksschulen sind nur zuzulassen, wenn für eine Minderheit von
Erziehungsberechtigten, deren Wille nach Artikel
146
Abs. 2 zu berücksichtigen ist, eine öffentliche Volksschule ihres Bekenntnisses
oder ihrer Weltanschauung in der Gemeinde nicht besteht oder die
Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt.
(3) Private Vorschulen sind aufzuheben.
(4) Für
private Schulen, die nicht als Ersatz für öffentliche Schulen dienen, verbleibt
es bei dem geltenden Recht.
Artikel 148
(1) In allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung,
persönliche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums und der
Völkerversöhnung zu erstreben.
(2) Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, daß die
Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden.
(3) Staatsbürgerkunde und Arbeitsunterricht sind Lehrfächer der Schulen. Jeder
Schüler erhält bei Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der Verfassung.
(4) Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich,
Ländern und Gemeinden gefördert werden.
Artikel 149
(1) Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme
der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der
Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit
den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des
Aufsichtsrechts des Staates erteilt.
(2) Die Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher
Verrichtungen bleibt der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an
religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen der
Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des
Kindes zu bestimmen hat.
(3) Die theologischen Fakultäten an den Hochschulen bleiben erhalten.
Artikel 150
(1) Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft
genießen den Schutz und die Pflege des Staates.
(2) Es ist Sache des Reichs, die Abwanderung deutschen Kunstbesitzes in das
Ausland zu verhüten.
FÜNFTER ABSCHNITT
Das Wirtschaftsleben
Artikel 151
(1) Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit
dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle
entsprechen. In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen zu
sichern.
(2) Gesetzlicher Zwang ist nur zulässig zur Verwirklichung bedrohter Rechte oder
im Dienst überragender Forderungen des Gemeinwohls.
(3) Die Freiheit des Handels und Gewerbes wird nach Maßgabe der Reichsgesetze
gewährleistet.
Artikel 152
(1) Im Wirtschaftsverkehr gilt Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze.
(2) Wucher ist verboten. Rechtsgeschäfte, die gegen die guten Sitten verstoßen,
sind nichtig.
(1) Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine
Schranken ergeben sich aus den Gesetzen.
(2) Eine
Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage
vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht
ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im
Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit
Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber
Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung
erfolgen.
(3) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das
Gemeine Beste.
Artikel 154
(1) Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechtes gewährleistet.
(2) Der Anteil des Staates am Erbgut bestimmt sich nach den Gesetzen.
Artikel 155
(1) Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise
überwacht, die Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine
gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine
ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern.
Kriegsteilnehmer sind bei dem zu schaffenden Heimstättenrecht besonders zu
berücksichtigen.
(2) Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses, zur
Förderung der Siedlung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft nötig
ist, kann enteignet werden. Die Fideikommisse sind aufzulösen.
[Fideikommiss: unverkäufliches, unbelastbares und nur im Ganzen vererbliches
Landgut.]
(3) Die Bearbeitung und Ausnutzung des Bodens ist eine Pflicht des
Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft. Die Wertsteigerung des Bodens, die
ohne eine Arbeits- oder Kapitalaufwendung auf das Grundstück entsteht, ist für
die Gesamtheit nutzbar zu machen.
(4) Alle Bodenschätze und alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte stehen unter
Aufsicht des Staates. Private Regale sind im Wege der Gesetzgebung auf den Staat
zu überführen.
Artikel 156
(1) Das Reich kann durch Gesetz, unbeschadet der Entschädigung, in sinngemäßer
Anwendung der für Enteignung geltenden Bestimmungen, für die Vergesellschaftung
geeignete private wirtschaftliche Unternehmungen in Gemeineigentum überführen.
Es kann sich selbst, die Länder oder die Gemeinden an der Verwaltung
wirtschaftlicher Unternehmungen und Verbände beteiligen oder sich daran in
anderer Weise einen bestimmenden Einfluß sichern.
(2) Das Reich kann ferner im Falle dringenden Bedürfnisses zum Zwecke der
Gemeinwirtschaft durch Gesetz wirtschaftliche Unternehmungen und Verbände auf
der Grundlage der Selbstverwaltung zusammenschließen mit dem Ziele, die
Mitwirkung aller schaffenden Volksteile zu sichern, Arbeitgeber und Arbeitnehmer
an der Verwaltung zu beteiligen und Erzeugung, Herstellung, Verteilung,
Verwendung, Preisgestaltung sowie Ein- und Ausfuhr der Wirtschaftsgüter nach
gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen zu regeln.
(3) Die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und deren Vereinigungen sind
auf ihr Verlangen unter Berücksichtigung ihrer Verfassung und Eigenart in die
Gemeinwirtschaft einzugliedern.
Artikel 157
(1) Die Arbeitskraft steht unter dem besonderen Schutz des Reichs.
(2) Das Reich schafft ein einheitliches Arbeitsrecht.
Artikel 158
(1) Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und der Künstler
genießt den Schutz und die Fürsorge des Reichs.
(2) Den Schöpfungen deutscher Wissenschaft, Kunst und Technik ist durch
zwischenstaatliche Vereinbarung auch im Ausland Geltung und Schutz zu
verschaffen.
Artikel 159
(1) Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.
Artikel 160
(1) Wer in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis als Angestellter oder Arbeiter steht, hat das Recht auf die zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und, soweit dadurch der Betrieb nicht erheblich geschädigt wird, zur Ausübung ihm übertragener öffentlicher Ehrenämter nötige freie Zeit. Wieweit ihm der Anspruch auf Vergütung erhalten bleibt, bestimmt das Gesetz.
Artikel 161
(1) Zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutz der Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen des Lebens schafft das Reich ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten.
Artikel 162
(1) Das Reich tritt für eine zwischenstaatliche Regelung der Rechtsverhältnisse der Arbeiter ein, die für die gesamte arbeitende Klasse der Menschheit ein allgemeines Mindestmaß der sozialen Rechte erstrebt.
Artikel 163
(1) Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit die sittliche
Pflicht, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, wie es das
Wohl der Gesamtheit erfordert.
(2) Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche
Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit
nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt.
Das Nähere wird durch besondere Reichsgesetze bestimmt.
Artikel 164
(1) Der selbständige Mittelstand in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel ist in Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen.
Artikel 165
(1) Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in
Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und
Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der
produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre
Vereinbarungen werden anerkannt.
(2) Die Arbeiter und Angestellten erhalten zur Wahrnehmung ihrer sozialen und
wirtschaftlichen Interessen gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbeiterräten
sowie in nach Wirtschaftsgebieten gegliederten Bezirksarbeiterräten und in einem
Reichsarbeiterrat.
(3) Die
Bezirksarbeiterräte und der Reichsarbeiterrat treten zur Erfüllung der gesamten
wirtschaftlichen Aufgaben und zur Mitwirkung bei der Ausführung der
Sozialisierungsgesetze mit den Vertretungen der Unternehmer und sonst
beteiligter Volkskreise zu Bezirkswirtschaftsräten und zu einem
Reichswirtschaftsrat zusammen. Die Bezirkswirtschaftsräte und der
Reichswirtschaftsrat sind so zu gestalten, daß alle wichtigen Berufsgruppen
entsprechend ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung darin vertreten sind.
(4) Sozialpolitische und wirtschaftspolitische Gesetzentwürfe von grundlegender
Bedeutung sollen von der Reichsregierung vor ihrer Einbringung dem
Reichswirtschaftsrat zur Begutachtung vorgelegt werden. Der Reichswirtschaftsrat
hat das Recht, selbst solche Gesetzesvorlagen zu beantragen. Stimmt ihnen die
Reichsregierung nicht zu, so hat sie trotzdem die Vorlage unter Darlegung ihres
Standpunkts beim Reichstag einzubringen. Der Reichswirtschaftsrat kann die
Vorlage durch eines seiner Mitglieder vor dem Reichstag vertreten lassen.
(5) Den Arbeiter- und Wirtschaftsräten können auf den ihnen überwiesenen
Gebieten Kontroll- und Verwaltungsbefugnisse übertragen werden.
(6) Aufbau und Aufgabe der Arbeiter- und Wirtschaftsräte sowie ihr Verhältnis zu
anderen sozialen Selbstverwaltungskörpern zu regeln, ist ausschließlich Sache
des Reichs.
ÜBERGANGS- UND SCHLUßBESTIMMUNGEN
Artikel 166
(1) Bis zur Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts tritt an seine Stelle für die Bildung des Wahlprüfungsgerichts das Reichsgericht.
Artikel 167
(1) Die Bestimmungen des Artikel 18 Abs. 3 bis 6 treten erst zwei Jahre nach
Verkündung der Reichsverfassung in Kraft.
[Absätze 2 und 3 eingefügt durch Reichsgesetz vom 27.11.1920 (RGBl. 1920, S.
1987):
(2) In der preußischen Provinz Oberschlesien findet innerhalb zweier Monate,
nachdem die deutschen Behörden die Verwaltung des zur Zeit besetzten Gebiets
wieder übernommen haben, eine Abstimmung nach Artikel 18 Abs. 4 Satz 1 und Abs.
5 darüber statt, ob ein Land Oberschlesien gebildet werden soll.
(3) Wird die Frage bejaht, so ist das Land unverzüglich einzurichten, ohne daß
es eines weiteren Reichsgesetzes bedarf. Dabei gelten folgende Bestimmungen:
1. Es ist eine Landesversammlung zu wählen, die binnen drei Monaten nach der
amtlichen Feststellung des Abstimmungsergebnisses zur Einsetzung der
Landesregierung und zur Beschlußfassung über die Landesverfassung einzuberufen
ist. Der Reichspräsident erläßt die Wahlordnung nach den Grundsätzen des
Reichswahlgesetzes und bestimmt den Wahltag.
2. Der Reichspräsident bestimmt im Benehmen mit der oberschlesischen
Landesversammlung, wann das Land als eingerichtet gilt.
3. Die oberschlesische Staatsangehörigkeit erwerben:
a) die volljährigen Reichsangehörigen, die am Tage der Einrichtung des Landes
Oberschlesien (Nr. 2) in seinem Gebiete Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt
haben, mit diesem Tage;
b) sonstige volljährige preußische Staatsangehörige, die im Gebiete der Provinz
Oberschlesien geboren sind und innerhalb eines Jahres nach Einrichtung des
Landes (Nr. 2) der Landesregierung erklären, daß sie die oberschlesische
Staatsangehörigkeit erwerben wollen, am Tage des Einganges dieser Erklärung;
c) alle Reichsangehörigen, die durch Geburt, Legitimation oder Eheschließung der
Staatsangehörigkeit einer der unter a und b bezeichneten Personen folgen.]
Artikel 168
(1) Bis zum Erlaß des im Artikel 63 vorgesehenen Landesgesetzes, aber höchstens
bis zum 1. Juli 1921, können die sämtlichen preußischen Stimmen im Reichsrat von
Mitgliedern der Regierung abgegeben werden.
[Die festgesetzte Dauer von einem Jahr durch Reichsgesetz vom 06.08.1920
verlängert (RGBl. 1920, S. 1565)]
Artikel 169
(1) Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmung im Artikel 83 Abs. 1 wird
durch die Reichsregierung festgesetzt.
(2) Für eine angemessene Übergangszeit kann die Erhebung und Verwaltung der
Zölle und Verbrauchssteuern den Ländern auf ihren Wunsch belassen werden.
Artikel 170
(1) Die Post- und Telegraphenverwaltungen Bayerns und Württembergs gehen
spätestens am 1. April 1921 auf das Reich über.
(2) Soweit bis zum 1. Oktober 1920 noch keine Verständigung über die Bedingungen
der Übernahme erzielt ist, entscheidet der Staatsgerichtshof.
(3) Bis zur Übernahme bleiben die bisherigen Rechte und Pflichten Bayerns und
Württembergs in Kraft. Der Post- und Telegraphenverkehr mit den Nachbarstaaten
des Auslandes wird jedoch ausschließlich vom Reiche geregelt.
Artikel 171
(1) Die Staatseisenbahnen, Wasserstraßen und Seezeichen gehen spätestens am 1.
April 1921 auf das Reich über.
(2) Soweit bis zum 1. Oktober 1920 noch keine Verständigung über die Bedingungen
der Übernahme erzielt ist, entscheidet der Staatsgerichtshof.
Artikel 172
(1) Bis zum Inkrafttreten des Reichsgesetzes über den Staatsgerichtshof übt seine Befugnisse ein Senat von sieben Mitgliedern aus, wovon der Reichstag vier und das Reichsgericht aus seiner Mitte drei wählt. Sein Verfahren regelt er selbst.
Artikel 173
(1) Bis zum Erlaß eines Reichsgesetzes gemäß Artikel 138 bleiben die bisherigen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen.
Artikel 174
(1) Bis zum Erlaß des in Artikel 146 Abs. 2 vorgesehenen Reichsgesetzes bleibt es bei der bestehenden Rechtslage. Das Gesetz hat Gebiete des Reichs, in denen eine nach Bekenntnissen nicht getrennte Schule gesetzlich besteht, besonders zu berücksichtigen.
Artikel 175
(1) Die Bestimmung des Artikel 109 findet keine Anwendung auf Orden und Ehrenzeichen, die für Verdienste in den Kriegsjahren 1914-1919 verliehen werden sollen.
Artikel 176
(1) Alle öffentlichen Beamten und Angehörigen der Wehrmacht sind auf diese Verfassung zu vereidigen. Das Nähere wird durch Verordnung des Reichspräsidenten bestimmt.
Artikel 177
(1) Wo in den bestehenden Gesetzen die Eidesleistung unter Benutzung einer religiösen Eidesform vorgesehen ist, kann die Eidesleistung rechtswirksam auch in der Weise erfolgen, daß der Schwörende unter Weglassung der religiösen Eidesform erklärt: ",ich schwöre". Im übrigen bleibt der in den Gesetzen vorgesehene Inhalt des Eides unberührt.
Artikel 178
(1) Die
Verfassung des Deutschen Reichs vom
16. April 1871 und das
Gesetz über die vorläufige
Reichsgewalt vom 10. Februar 1919
sind aufgehoben.
(2) Die übrigen Gesetze und Verordnungen des Reichs bleiben in Kraft, soweit
ihnen diese Verfassung nicht entgegensteht. Die Bestimmungen des am 28. Juni
1919 in Versailles unterzeichneten Friedensvertrags werden durch die Verfassung
nicht berührt.
[Satz 3 eingefügt durch Reichsgesetz vom 06.08.1920 (RGBl. 1920, S. 1566):
Mit Rücksicht auf die Verhandlungen bei dem Erwerbe der Insel Helgoland kann
zugunsten ihrer einheimischen Bevölkerung eine von Artikel 17
Abs. 2 abweichende Regelung getroffen werden.]
(3) Anordnungen der Behörden, die auf Grund bisheriger Gesetze in rechtsgültiger
Weise getroffen waren, behalten ihre Gültigkeit bis zur Aufhebung im Wege
anderweiter Anordnung oder Gesetzgebung.
Artikel 179
(1) Soweit in Gesetzen oder Verordnungen auf Vorschriften und Einrichtungen
verwiesen ist, die durch diese Verfassung aufgehoben sind, treten an ihre Stelle
die entsprechenden Vorschriften und Einrichtungen dieser Verfassung.
Insbesondere treten an die Stelle der Nationalversammlung der Reichstag, an die
Stelle des Staatenausschusses der Reichsrat, an die Stelle des auf Grund des
Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt gewählten Reichspräsidenten der auf
Grund dieser Verfassung gewählte Reichspräsident.
(2) Die nach den bisherigen Vorschriften dem Staatenausschuß zustehende Befugnis
zum Erlaß von Verordnungen geht auf die Reichsregierung über; sie bedarf zum
Erlaß der Verordnungen der Zustimmung des Reichsrats nach Maßgabe dieser
Verfassung.
Artikel 180
Bis zum Zusammentritt des ersten Reichstags gilt die Nationalversammlung als
Reichstag. Bis zum Amtsantritt des ersten Reichspräsidenten wird sein Amt von
dem auf Grund des Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt gewählten
Reichspräsidenten geführt.
[Art. 180 erhielt durch
Reichsgesetz zur Änderung des Artikel
180 der Reichsverfassung vom 27. Oktober 1922
eine neue Fassung.]
Artikel 181
(1) Das deutsche Volk hat durch seine Nationalversammlung diese Verfassung
beschlossen und verabschiedet. Sie tritt mit dem Tage ihrer Verkündung in Kraft.
Schwarzburg, den 11. August 1919.
Der Reichspräsident:
Friedrich Ebert
Das Reichsministerium:
Bauer,
Erzberger, Hermann Müller, Dr. David, Noske,
Schmidt, Schlicke, Giesberts, Dr. Mayer, Dr. Bell